Moderne Technik vereinfacht das Leben. Voraussgesetzt, man versteht damit umzugehen. Ebenfalls Bedingung ist, dass sich die ausgeklügelten, hoch entwickelten und raffinierten Programme, Maschinen und Systeme an die Vorgaben halten und keine Zicken machen.
Wer sich schwertut mit dem Technologiefortschritt möge bedenken, dass die „guten alten Zeiten“ – entgegen landläufiger Schwärmereien – nicht unbedingt besser waren. Nach vier Legs im analogen Cockpit fühlte man sich seinerzeit schlapp und ausgelaugt, brachte mitunter am Abend kaum die Kraft auf, den Humpen an der Bar zu stemmen. Der Aufwand war wesentlich grösser als in den heutigen, modern ausgerüsteten Pilotenkanzeln. Der Aufwand beim Fliegen, meine ich. Nicht den beim Humpenstemmen...
Bei der guten alten DC-9-32, wie ich sie in meinen Anfängen als Linienpilot erlebt habe, wurde mit Funkfeuern navigiert. Die Piloten selektierten die Frequenzen jener Stationen, die den Flugweg vorgaben und steuerten sie auf den vorgegebenen Radialen (Richtung des Peilstrahls) an.
Heute wird die gesamte Route eines Fluges im Navigationscomputer eingetippt. Dazu gehören auch die oftmals komplexen An- und Abflugverfahren. Die Eingabe geschieht am Boden, noch vor dem Start der Triebwerke und ermöglicht den Herren im Cockpit, die zu fliegende Strecke frühzeitig und stressfrei mit den Daten des Flugplans zu vergleichen. Theoretisch könnten sie, was die Navigation anbelangt, nach dem Start zurücklehnen und sich der Überwachung des Computers oder kurzfristig angeordneten Änderungen der Route widmen. Wie gesagt; theoretisch. Die Praxis schaut natürlich anders aus. Vor 30 Jahren gab es weder die entsprechenden Computer noch eine vergleichbare Software. Die Route musste fortlaufend angepasst werden. Die Piloten machten ihre Eingaben im Moment des Richtungswechsels. Entscheidend war, keine Kursänderung zu verpassen.
Wie wir nun aber wissen, hat alles im Leben seine Zeit. Wir gewöhnen uns an Dinge und verfangen uns in Erwartungshaltungen. Alles fliesst, und wir sehen uns ständigen Änderungen ausgesetzt. Übergänge mit wechselnden Strukturen lassen Skeptiker zu Zauderern werden und machen aus Sturköpfen Besserwisser. Anfänglich sehnen wir uns nach dem Status quo ante, später wird das Neue zur Gewohnheit. Und tun wir uns schwer damit, flüchten wir eines Tages in die Hoffnung auf Verbesserung.
Auch in unseren Cockpits sind die Folgen der Veränderung präsent. Innovative Ansätze verfangen sich in alten Kabeln. Nicht nur sprichwörtlich. Lose, schwergewichtige Tablets ersetzen die vormaligen Manuale mit den Flugplatzkarten. Das erweitert zwar die technischen Möglichkeiten, dumm ist nur, dass das Gerät gerade dann, wenn ich es am meisten brauche, bei Abflug oder Anflug, im Ablagefach verstaut und gesichert werden muss. Und zwar dergestalt, dass mir die Einsicht in Anflugverfahren und Rollwege verwehrt ist. Es sei denn, ich greife zu den guten alten Papierkarten. Womit der digitale Fortschritt auch gleich wieder verpufft...
Eine weitere freischwebende Einrichtung ist das Electronic Cabin Log. Ein Kleincomputer, in den unsere Kabinenchefs zum Beispiel defekte Espressomaschinen eintragen. Und davon gibt es dieser Tage wahrlich genug. Letzte Woche, nach Los Angeles und drei Tage später wieder zurück, waren beide installierten Maschinen out of order. Tote Hose. Zwölf Stunden Flug ohne Espresso – das grenzt beinahe schon an Menschenverachtung und Tierquälerei. Wer’s nicht glaubt, soll selber einmal probieren.
Da die Tablets und Compis, beziehungsweise deren Akkus, regelmässig aufgeladen werden, läuft nichts ohne Kabel, oft blockiert durch Checklisten, Essensplateaus oder Handbücher. Im selben Bereich befindet sich auch der Deckel meiner Sauerstoffmaske, auf die ich bei einem Druckabfall oder bei Rauch jederzeit ungehinderten Zugriff haben sollte.
Ein modernes Cockpit im Schwebezustand zwischen alt und neu. Ich ärgere mich bei jedem Flug über dieses Gewirr. Manchmal wickelt sich auch, ganz keck, das Kabel des Kopfhörers dazwischen. Dann ist der Kabelsalat perfekt!
Aber bald soll alles besser werden. Neue Hardware mit adäquater Software. Fachgerecht installiert. Ohne lose Kabel.
Ich kann es kaum erwarten!
"Posted by Dide at 4:23 AM"
ReplyDelete4:23am ist aber auch eine unchristliche Zeit ;)
@Anonymous: Wenn du zurückblätterst wirst du feststellen, dass dies nicht der einzige Beitrag ist, der zu unchristlicher Zeit ins Netz gestellt wurde. Meine innere Uhr hat eben ihren eigenen Rhythmus, pendelt irgendwo zwischen Winterthur City und Nordamerika...
ReplyDelete"Aber bald soll alles besser werden."
ReplyDeleteOhne Dir zu nahe treten zu wollen: Denkst Du, das die neue eierlegende Wollmilchsau noch kommt, bevor Du in Rente gehst? ;-)
Aber reg Dich nicht auf. Wenn es einmal kein Essen mehr hat, dann haben wir wenigstens noch einen Kabelsalat...
@Skypointer: Deine Skepsis ist durchaus berechtigt. Die Eieruhr tickt unbarmherzig. Ich erinnere mich an eine Folie, die der Instruktor an einer meiner ersten Performance-Lektionen aufgelegt hat: "Never ever give up!" Daran habe ich mich bis heute gehalten.
ReplyDeleteAusserdem war ich gestern im Kino und habe mir einen äusserst amüsanten Film angeschaut, in dem mehrfach ein Satz zu hören war, den ich ab sofort zu meinem Lebensmotto mache: "In the end everything will be good. And if it is not good then it is not the end yet."
Das Schöne an dieser Aussage ist, dass sie Raum für Interpretation lässt!
Happy crewlinking!
Nun ja: Zwölf Stunden Flug ohne Espresso – das grenzt beinahe schon an Menschenverachtung und Tierquälerei. Wer’s nicht glaubt, soll selber einmal probieren.
ReplyDeleteDas probieren all die Leute in der Eco immer aus, weil dort Nespresso nicht standard ist :-)
Eines der ersten Statements, das ich im Rahmen meiner Lotsenausbildung anno dazumal zu hören gekriegt habe war "no brain - no pain!"
ReplyDeleteDamit lebt es sich also ebenfalls hervorragend...