Wer fliegt, wird akustisch dauerberieselt. Wer viel fliegt, entsprechend mehr. Kaum sind die Türen geschlossen, greift der Maître de Cabine zum Mikrofon. Später meldet sich der Kapitän. Manchmal ändert die Reihenfolge. Es wird begrüsst, erläutert, ermahnt und manchmal auch entschuldigt.
Kommunikation ist eine hohe Kunst. Besonders mit einer Matt-, ähh Cockpitscheibe vor dem Gesicht und ohne die Möglichkeit, seinen ZuhörerInnen in die Augen zu schauen. Im Normalfall wissen die Piloten kaum, wer hinten in der Kabine sitzt. Männer, Frauen und Kinder halt. Verschiedenen Alters und verschiedener Herkunft. Kluge, dumme, interessierte, bescheidene, ängstliche, hilfsbereite. Fliegerfans, Angeber, Wohltäter, Ignoranten, Lebenskünstler, bisweilen auch Fachleute.
Am Ende jeder Passagieransage steht in der Regel, abhängig von Tageszeit und Flugphase, das obligate „...nun wünsche ich Ihnen...“.
Wir wünschen etwa einen recht angenehmen Flug, eine recht ruhige Nacht, recht guten Appetit oder einen recht schönen Tag.
Wer genau hinhört (das tun allerdings die Wenigsten), spürt lediglich verhaltene Grosszügigkeit. Irgendwie mögen wir unseren Kunden den schönen Tag oder was auch immer nicht so richtig gönnen. Zwar entbieten wir allerlei gute Wünsche, die wir jedoch im selben Atemzug relativieren. Mit dem unscheinbaren Adjektiv recht. So, als wär's uns gar nicht recht, als wären wir einen Schritt zu weit gegangen. Also soll sie nicht uneingeschränkt gut sein, die Weiterreise, bloss recht gut.
Wer googelt findet heraus, dass Fachleute in diesem Zusammenhang von Negativer Graduierung sprechen. Das Adjektiv wird sinngemäss abgeschwächt: Recht schön ist also weniger schön als schön.
Recht wirr, recht unlogisch. Man mag sich fragen, weshalb wir denn unseren Passagieren beim Nachtflug nicht bedingungslos tiefen Schlaf gönnen, was ja wohl auch für unsere Kollegen und Kolleginnen der Kabinenbesatzung einfacher wäre.
Ist es Geiz, Automatismus, Neid oder gar die Angst vor der Verschwendung der Ressourcen? Schweizer Zurückhaltung etwa?
Wie halten es die Deutschen? Graduieren auch unsere nördlichen Nachbarn negativ?
Mir stossen diese verkappten Wünsche recht sauer auf. Nicht erst seit gestern. Irgendwie recht mühsam (ergibt eigentlich die negative Graduierung einer negativen Aussage einen positiven Sinn...?) zu spüren, dass der Kapitän bloss so tut als ob, und es in der Tiefe seiner Seele gar nicht so gut meint mit mir.
Ich werde weiter recht genau hinhören. Ihr hoffentlich auch.
Ein recht schönes Wochenende!
Ich hoffe doch sehr, dass du auf meiner Welle ganz genau hinhörst, damit es eben ganz gut läuft und nicht bloss recht gut...
ReplyDeleteBei den deutschen Kollegen der LH wird mir zumeist eine "schöne" Weiterreise gewünscht. Aber je nach Kapitän im Cockpit, schleicht sich hin und wieder auch bei uns mal eine negative Graduierung ein.
ReplyDeleteIch glaube das Abschwächen dient dem Umstand, dass der Sprechende eben gerade NICHT jeden Gemütszustand aller Passagiere kennt.
ReplyDeleteEs verbietet sich von allein, einem jungen Mann der zur Beerdigung seiner Frau fliegt, einen schönen Flug zu wünschen - dieser Flug wird für den Herren nicht schön werden. Hier ist eben genau angebracht "nur" einen recht schönen Tag zu wünschen.
So hören die Paxe bestimmt gerne zu ;-)
ReplyDeletehttp://youtu.be/b2nYtkudGtg
Hat mich an die Graduierungen bei den (schweizerischen) Schulnoten erinnert:
ReplyDelete6 = sehr gut
5 = gut
4 = befriedigend
Wir wünschen einen befriedigenden Flug, einen befriedigenden Tag, einen befriedigten Appetit und eine befriedigte Nacht.
Klingt doch nicht schlecht.
Crowi
Übrigens: Das obige reimt sich unter dem Motto:
ReplyDelete"I can't get no Satisfaction!"
Crowi
@TWR Mädel: "Ganz gut" oder "recht gut" klingt doch irgendwie ähnlich. Oder nicht...?
ReplyDeleteWie auch immer: auf eurem Kanal bin ich sowieso immer ganz Ohr!
@Oliver: Seh ich auch so. Das "recht"... hört man bei euch eindeutig weniger.
@nightyhawk: Da bin ich überhaupt nicht einverstanden! Wieso soll ich denn einem Gast, dem es nicht so gut geht (von denen es zweifellos immer mehrere auf dem Flieger hat), nur verhalten Gutes wünschen? Gerade das Gegenteil muss doch der Fall sein. Oder würdest du einer Person, die im Fluss gegen das Ertrinken kämpft, den Kopf noch ganz unters Wasser drücken...?
@Anonymous: In der Tat witzige Ansage. Bin mir aber nicht sicher, ob die bei allen Paxen gut ankommt? Ich höre schon einige sagen: "Wer sitzt denn hier im Cockpit? Pilot oder Standup Comedian?"
@Crowi: Na denn, ist die Nacht nun befriedigend oder befriedigt...?
… hä!, ich sehe mich in meiner Theorie bestätigt, dass weniger sagen mehr ist.
ReplyDelete"Bonjour, bon vol!"
Hauptsache es kommt nicht raus wie der bei der Deutschen Bahn :-D
ReplyDeleteMir ging es nicht anders als den Passagieren die das aufgenommen haben. Wer heute noch so richtig lachen will, here we go...
Nur schon das: "senk you forrr trrravleing wiss Deutsche Bahn" ist auf jeder Bahnreise ein Brüller wert....
http://youtu.be/-bYzPPCr0kQ
@Tabaluga:
ReplyDeleteStimmt inzwischen aber nicht mehr... Bei der Deutschen Bahn hat wohl mal ein Muttersprachler die Texte umformuliert. Inzwischen ist der Standardtext "thank you for choosing Deutsche Bahn today, take care and goodbye"
Also letzte Woche im ICE von Zürich nach Mannheim schien dies aber nicht bekannt ;-) da war es noch der gute alte Satz....
ReplyDeleteSodeli. Habe mir auf Ricardo "DEN WAHREN ERSTLING" ersteigert. Ist am Samstag in mein Haus geflattert. Ein tolles, amüsantes und sehr interessantes Werk. Danke, dass Du mich HIER darauf aufmerksam gemacht hast!! Beste Grüsse
ReplyDelete... Sorry für das DUZEN... :-(( Die Finger wieder mal schneller als die Gedanken... Ich nehme es zurück!Also hier nochmals: Danke, dass SIE mich HIER darauf aufmerksam gemacht haben.....
ReplyDeleteHallo IVBANKER: Also um es gleich vorwegzunehmen: Das Duzen ist schon ok. So unter Aviatikern und Bloggern können wir das ruhig belassen...
ReplyDeleteFreut mich natürlich, dass du "29 Jahre Swissair Jumbo" erstanden hast. Ich wusste gar nicht, dass das Buch auf Ricardo gehandelt wird. Es gibt in der Tat nur noch wenige Exemplare. Ursprünglich wurden 12'000 Stück gedruckt. Eine für CH-Verhältnisse grössenwahnsinnige Zahl, dessen bin ich mir heute bewusst. Dennoch hatten wir bis 2006 rund 11'000 Bücher verkauft. Ohne die Hilfe eines Verlags oder der üblichen Vertriebskanäle. Die meisten Exemplare wurden im Rahmen von Standaktionen oder im individuellen Versand abgesetzt.
Nun musste ich vor wenigen Tagen erfahren, dass die verbleibenden Bücher (600-900) versehentlich eingestampft wurden! Ich hatte die Schachteln im Estrich einer Firma eingelagert, die vor zwei Jahren kurzfristig ihren Standort wechseln musste. Und da ich nicht im Lande war, griffen die Verantwortlichen kurzerhand zu radikalen Vernichtungsmassnahmen. Es ist mir in den vergangenen zwei Wochen noch gelungen, die letzten 30 Bücher bei Freunden zusammenzukramen. Mehr gibt es nicht mehr, da bleiben dann wohl nur noch Ricardo und Ebay...
Dir wünsche ich viel Spass beim Lesen. Die Illustrationen wurden von legendären, mittlerweile verstorbenen Nico gefertigt. Allein sie wären es wert, das Buch durchzublättern...
Gruss
Danke für Deine Antwort. Es ist wirklich schade zu hören, dass die restlichen Exemplare eingestampft wurden. Allerdings bin ich froh, diese Information erst jetzt zu erhalten. Ich könnte sonst meine Lizenz wegen "Front running" verlieren. Es ist auch ein eindrückliches Dokument der Zeitgeschichte. Ausserdem habe ich viele gute Erinnerungen an die alte Lady. Obwohl mich die 747-300 gleich bei unserem ersten Date am 2.1.97 SR100 wegen Triebwerkschaden versetzt hat. Falls jemand bei einer Deiner nächsten Vorlesungen also beide Werke zum Signieren vorlegen wird ist die Chance gross, dass es sich um meine Frau und mich handeln wird.....
Delete@IVBANKER:...ich würde mich freuen...
ReplyDelete