Sunday, August 28, 2011

Langweilige Nächte

Mattes Licht erhellt das Cockpit. Durch die Fenster dringt dunkle Nacht. Wir ziehen unsere Spur, hoch über dem Nordatlantik. Vor vier Stunden sind wir in Montreal gestartet. Bei stahlblauem Himmel und unbegrenzter Sicht. Locker hat der A330, getrieben von den beiden Rolls Royce-Triebwerken, Meter um Meter erklommen und die kanadischen Seen und Wälder in eine harmonisch wirkende Spielzeuglandschaft verwandelt.

Die Diskussionen der ersten Stunden haben sich gelegt. In unseren Köpfen macht sich zunehmend Müdigkeit breit. Der für die Kommunikation unter Piloten gedachte Funkkanal bleibt zumeist ruhig. Lediglich die üblichen Amerikaner, die sich in langatmigen Diskussionen über Turbulenzen und –lenzchen ereifern, durchbrechen hin und wieder die Ruhe.

Dann plötzlich, wie aus dem Nichts, eine Frauenstimme, rauchige Tonlage, ein bisschen angekratzt:
„Hi – is there anybody who wants to talk to me?”

Stille, den Männern hat das eindeutige Angebot wohl die Sprache verschlagen. Dann, nach einigen Sekunden:
„Why do you want to talk?“

„Because I’m bored...“

Nun, das sind wir manchmal auch, dennoch käme es mir kaum in den Sinn, eine Diskussion anzureissen, bei der die gesamte Nordatlantik-Gemeinschaft teilhaben kann. Der interessierte Kollege will mehr wissen.
„What do you want to talk about?”

Die Antwort kommt ohne Zögern:
„About the weather…?”

Dabei hebt die Dame ihre Stimme gegen das Ende des Satzes beinahe aufreizend an. Frage oder Vorschlag? Sie lässt es offen.

Ihrem Gesprächspartner scheint das zu langweilig. Angebissen hat er zwar, allerdings wollen ihm die Bedingungen nicht so recht passen. Die anderen halten sich erstaunlicherweise zurück, spitzen wohl – wie wir auch – die Ohren. Bis auf den einen mit Polizistenblut, der den beiden nahelegt, auf eine andere Frequenz zu wechseln.

Das Geplänkel geht weiter. Englische Dialekte zu mitternächtlicher Stunde. Ich kann nicht alles verstehen. Er stammt offensichtlich aus Leeds. Einer Stadt, die der Dame gut bekannt ist, wie sie ausführt.
Irgendwann will der männliche Talker wissen, wohin denn die Reise der Lady mit der rauchigen Stimme gehe: „London“, entgegnet sie knapp.

Bei der nächsten Frage wirds technischer:
„...and which aircraft are you flying tonight?“

Das ist dann aber für die Dame wohl etwas zu viel:
„I don’t know – I’m just a Stewardess...“

Na ja – solange sie weiss, wie die Tür aufgeht….

Wednesday, August 24, 2011

100 Gramm Gschnätzlets

Pedalt wird in diesen Tagen vielerorts. Ganz besonders in Winterthur. Denn die Eulachstadt (Ich weiss, Zürich hat die viel grössere Limmat) ist eine Velostadt.

Auch ich bin mit dem Zweirad unterwegs. Immerhin haben wir bislang ein kleines Vermögen in die Revision unserer vom arabischen Flugsand geschädigten Pedalmaschinen investiert. Der Velomech im Aussenquartier reibt sich die ölverschmierten Hände, verdient er sich doch diesen Monat dank unserer fünf Fahrräder ein ansehnliches Zubrot.

Von der Wohnung bis zur autofreien Altstadt dauert es keine zehn Minuten. Nicht etwa, weil ich so stürmisch in die Pedalen trete, sondern ganz einfach weil die Distanz dies erlaubt. Doch die Hitze macht mir zu schaffen. In Abu Dhabi war es zwar noch heisser, doch in den Emiraten ist jedes noch so kleine Gebäude, jede Baubaracke, jede Hundehütte, mit einer Klimaanlage versehen.

Ganz im Gegensatz zur Schweiz. Dafür gibt es in diesem Land tolle Metzgereien. Bereits nach wenigen Minuten zieht es mich ins erste Fleischergeschäft. Ach wie ist das herrlich kühl. Ich schätze die Temperatur auf maximal 21 Grad und bestelle zwei Servelats. Dann wage ich mich wieder ins Getümmel der Altstadt. Arbeite meine Pendenzenliste ab, bis mir der Schweiss den Rücken runter rinnt. Bereits an der nächsten Hausecke erspähe ich eine weitere Metzgerei. Fantastisch – mir ist, als tauchte ich ein ins kühle Nass eines Freibads. Ich bestelle drei Sandwiches und bin überglücklich als ich realisiere, dass die stramme Frau hinter der Theke die Eingeklemmten zuerst zubereiten muss. Kein Problem – lassen Sie sich Zeit...

Nach der ordentlichen Bezahlung trödle ich weiter durch die Stadt. Zwar habe ich alles erledigt, doch dei Stimmung zwischen den Häuserzeilen ist zu entspannt, als dass ich bereits zurück in die Wohnung fahren möchte. So lasse ich mich treiben; mit dem Fahrrad mitten unter Fussgängern. Denn in Winterthur dürfen Velofahrer eigentlich alles. Diese Stadt ist schlichtweg DAS Zweiradparadies!

Plötzlich wird mir wieder heiss. Es geht um die Wurscht. Wo finde ich die nächste Metzgerei? Zwei Seitenstrassen weiter lassen mich schwarze Buchstaben auf weissem Schild aufatmen. Ich klappe den Veloständer aus, wickle das Kabelschloss um Rückrad und Rahmen und trete durch die automatische Schiebetür ins Innere des Ladens. Fleischverkäufer sollte man sein in diesen heissen Sommertagen. Neben der angenehmen Temperatur ist auch der kleine Imbiss stets garantiert. Geradezu paradiesisch! Ich muss gut überlegen, was unserem Fleischsortiment noch gut anstünde. Noch fehlt der Grill auf unserer Terrasse, an saftigen Steaks bin ich demzufolge nicht interessiert. Vielleicht ein Paar knackige Wienerli? Oder frisch geschnittene Salami aus der Toskana? Jamon de Jabugo? Ich entscheide mich ganz simpel für 100 Gramm Gschnätzlets. Damit sind der heimischen Küche kaum Grenzen gesetzt. Dann wird bezahlt. Dann gehts raus in die Hitze.

Ich radle zurück ins noch immer nicht fertig eingerichtete Heim. Alles gut, bliebe da nicht eine quälende Frage: Wie überstehen eigentlich Vegetarier diese brutale Hitze...?

Sunday, August 21, 2011

Der erste Monat

Am 20. Juli dieses Jahres wars, als ich mich – nach fünfjährigem Fremdgehen im Sand – zum ersten Mal wieder in ein Swiss-Cockpit setzte. Der damalige Flug führte nach New York; in acht statt in dreizehn oder vierzehn Stunden, wie seinerzeit von Abu Dhabi aus.

Seit jenem Start in Zürich ist bereits ein Monat verstrichen oder treffender: verflogen.

Wieder verfange ich mich zwischen Hudson und East River. Nachdem sich gestern Abend, wir schickten uns gerade an, das Hotel zu verlassen, ein Gewaltsgewitter über der Stadt entladen hat, locken heute früh Sonnenschein und blauer Himmel vor allem Touristen auf die Gassen. Dennoch wirken die Strassen ums Empire State Building an diesem Samstagmorgen vergleichsweise ausgestorben, und für einmal gibts den Kaffee bei Starbucks ohne lange anzustehen.

In den vergangenen rund 30 Tagen bin ich viermal nach JFK und je einmal nach Tel Aviv, Delhi, Nairobi und Dar es Salaam gejettet. Immer mit dem A330. Nächste Woche gehts zur Abwechslung nach Montreal, dann stehen bereits wieder drei Einheiten im Simulator an; In den ersten Tagen des Septembers ist der A340-Check geplant. Also noch einmal in die Bücher. Bei 30 Grad und herrlichem Sommerwetter nicht unbedingt verlockend. Als Alternative bietet sich Lernen in der Badi an. Der Kopf bleibt immer noch kühler als in einer Wohnung ohne Klimaanlage...

Mein fliegerischer Einstieg bei der Swiss hat mir weniger Bauchschmerzen verursacht als angenommen. Und ich muss zugeben, das Umfeld macht grossen Spass! Die Arbeit am Sidestick bleibt grundsätzlich dieselbe: Wenn man daran zieht, werden die Häuser kleiner, beim Stossen nehmen sie entsprechend an Grösse zu. Dabei spielt es keine Rolle, ob auf der Heckflosse ein Adler oder ein Schweizerkreuz prangt.

Es sind vor allem die Arbeitsabläufe im Cockpit der Schweizer Airline, die ich als wesentlich angenehmer empfinde! Die Kollegen zur Rechten haben eine vergleichbare Ausbildung in derselben Organisation durchlaufen und sprechen - mas on menos - dieselbe Sprache. Kein unnötiges „Gschnurr“ und abgespeckte Checklisten. Zielgerichtet, effizient, prägnant. Wenn ich nur schon an unsere Briefings bei Etihad denke...

Hier hingegen bleibt Zeit für andere Dinge. Beispielsweise für die Kommunikation mit den Schnittstellen oder für die Begrüssung der Passagiere. Selbstverständlich ohne, dass dabei die Safety angekratzt würde.

Abgesehen davon empfinde ich es als äusserst angenehm, Diskussionen in der Muttersprache führen zu können. So, wie einem eben der sprichwörtliche Schnabel gewachsen ist.

Besonders angetan bin ich übrigens auch von der Grosszügigkeit der FCG‘s. Das Dreibuchstabenkürzel steht für jene Flugbegleiter, die über die Erfahrung und Qualifikation verfügen, in der Küche der First Class arbeiten zu dürfen – im First Class Galley eben. Schon früher wurde die Dummheit jener Kollegen hart bestraft, die sich mit ihnen anlegten. Denn dieses auserlesene Grüppchen bestimmt über die Vergabe von lukullischen Köstlichkeiten; zartesten Balik-Lachs, gefülltes Huhn, pochierten Fisch oder erlesenste Sprüngli-Pralinen. Diese Damen und Herren regieren ein Reich, das bei mehrstündigen Flugreisen zum Zentrum der Verlustigung verkommt. Ihre Macht wächst mit der Länge eines Fluges. Und das Schöne an der Macht ist ja bekanntlich die Willkür...

Swiss-Bordküchen scheinen mir weitaus grosszügiger beladen als bei der Etihad. Zumindest in der First Class. Mussten wir nach dem Start in Abu Dhabi jeweils einige Stunden bis zur Fütterung ausharren, so gewähren uns die meisten Swiss-FCG ‘s bereits am Boden einen ersten Blick in die Speisekarte. Das Gewünschte wird angekreuzt und landet gewöhnlich kurz nach Erreichen der Reiseflughöhe auf unserem Klapptisch. Solch Grosszügigkeit macht die persönliche Gewichtskontrolle nicht unbedingt einfacher.

Dafür wird beim neuen Firmen-Logo abgespeckt; statt Tyler Brulé’s Würfeln eine bescheidene Heckflosse mit grossbuchstabigem Schriftzug. Mir gefällts. Und vor allem bin ich mir jetzt sicher, dass ich für eine Fluggesellschaft und nicht eine Versicherung oder eine Bank arbeite.

Monday, August 15, 2011

Ein Auto, ein Buch und 215 Kartonboxen

Der Blick verfängt sich im satten Grün. Mächtige, bis zum Boden reichende, Palmenblätter schaukeln träge im Wind. Zwischen Büschen und Blumenbeeten schlängeln sich idyllische Wasserläufe. Vögel zwitschern, dazwischen scheppert in unregelmässigen Abständen Kaffeegeschirr.

Ich sitze auf der Terrasse eines Coffeeshops in der weitläufigen Hotelanlage Safari Park Hotel & Casino in Nairobi. Der kenianische Himmel zeigt sich wolkenverhangen, die Temperaturen erinnern an schweizerische Herbsttage im September. Gestern noch lümmelten wir träge unter der Sonne von Tanzania. In der Badehose wohlgemerkt. Die exponierten Körperstellen grosszügig eingeschmiert mit hochgradigem Sonnenschutzmittel. Zum Mittagessen auf der kleinen Insel servierten die Einheimischen frisch gegrillten Fisch. In voller Grösse erstreckte er sich, der Fisch, über den weissen Teller; die mattgelben Augen vorstehend, die braugraune Haut in der Hitze des Feuers geschrumpft. Besteck gab es keines, mit blosser Hand trennten wir Essbares von Gräten und anderem Ungeniessbaren. Dazu pickten wir Pommes, zum Nachtisch gabs eine Platte mit exotischen Früchten.

Dies ist mein erster Flug nach Dar es Salaam. Bereits im ersten Swiss-Monat nach der Rückkehr aus der Wüste befliege ich also Neuland. Ein Kurztrip nach Afrika. Weg vom Umzugstrubel, weg von der Hektik der vergangenen Tage.















Lange mussten wir auf unsere Möbel warten. Dann steht der 40 Fuss-Container unvermittelt vor unserer Wohnung. Die telefonische Ankündigung überrascht uns am Vorabend. Beinahe wie im Militär: Lange warten und dann pressierts plötzlich. Die Ladung war vorgängig in Hamburg steckengeblieben, weil die deutschen Zollbehörden eine Beschauung unseres Umzugsguts verlangt hatten. Die Kosten gehen zu unseren Lasten: 250 Euro für die Kontrolle, den gleichen Betrag für den Hin- und Rücktransport zum Zollplatz. Die entstandene Verzögerung erwirkt zusätzliche Lagergebühren in Basel. Die Tatsache, dass die Umzugscrew (aus Sachsen-Anhalt) die Möbel mehr als 20 Meter bis zum Haus buckeln muss, schraubt die Ausgaben weiter in die Höhe. Kaum stehen die ersten Boxen im Wohnzimmer, klingelt mein Handy. Die Dame von der Speditionsfirma in Basel wünscht, dass der entsprechende Betrag vor Auslieferung der Möbel beglichen werde. Ich erkläre ihr, dass die Herren bereits aktiv geworden wären, und ich ausserdem diese Geldmenge nicht unter dem Kissen verwahrt hätte. Wir einigen uns auf eine Banküberweisung per Internet. Wie einst die Landvögte im Mittelalter oder die Steuerämter der Neuzeit; Wenns ums Geldeintreiben geht, wird kein Aufschub geduldet.

Aber was solls – immerhin sind wir einen – lange erhofften - Schritt weiter.

Kurz nach dem Mittag ist der Container leergeräumt. 215 Kartonboxen aller Grössen türmen sich vor dem Hauseingang, in der Tiefgarage oder in unserer Wohnung. Sämtliche Fluchtwege sind verbaut. Die Abmachung sieht vor, dass die Schachteln ausgepackt, Betten und Regale montiert sowie das Verpackungsmaterial von der Crew entsorgt werden soll. Allein, die Zeit wird knapp. Da können sich die vier Bodybuilder-Tpyen noch so ins Zeug legen. Zaubern können auch sie nicht. Zum Nachtessen bestellen wir Pizza für tutti, bei leicht höheren Preisen als in Abu Dhabi.

Als sich die Männer gegen 21 Uhr schliesslich auf den Heimweg machen, bleibt eine chaotische (Pizza) Schachtel-Möbel-Abfalllandschaft zurück, die den Eindruck vermittelt, als hätte in unserer Bleibe eben erst eine Bombe eingeschlagen.

Einfacher läufts am nächsten Tag bei der Ankunft meines Automobils aus Schweden. In Niederglatt werde ich Zeuge, wie der Wagen nach rund achtwöchigem Transport aus dem engen Container befreit wird. Festgezurrt mit dicken Seilen, völlig verdreckt, aber heil und ohne Schaden hat er die Überfahrt überstanden. Als ich das Auto aus dem riesigen Containergelände manövriere, kommen seltsame Erinnerungen hoch. Mit diesem Wagen bin ich bislang ausschliesslich über emiratische Highways gekurvt, habe englisch moderierte Radiosender gehört und selten Temperaturanzeigen unter 25 Grad im Display beobachtet. Ab heute gilts auch für die Scheibenwischer Ernst!

Der Motor startet beim ersten Versuch und brummt zufrieden unter der staubigen Haube. Mein zweites Ziel ist eine Autowaschanlage in Bülach. Vorher fahre ich zu Toni und zeige ihm stolz mein Gefährt. Beinahe ehrfürchtig bestaunen wir gemeinsam das soeben aus langer Gefangenschaft befreite Strassenkind.

Dann ist da in diesen Tagen noch eine weitere Kartonbox in unserer Stube gelandet. Adressiert an mich und angeliefert mit der Post. 50 Bücher sind darin verpackt. Alle mit demselben Titel: „Blindflug Abu Dhabi“. Ich kann es kaum glauben. Endlich. Geboren nach unzähligen Schreib-, Korrektur- und Diskussionsstunden. Da liegen sie nun, meine persönlichen Exemplare. Ordentlich geschichtet, jungfräulich anmutend. Nur noch wenige Tage bis zum offiziellen Verkaufsbeginn. Zaghaft fahre ich mit der Hand über die glatten Buchdeckel. Franziska und Tim zeigen weniger Berührungsängste und beginnen sogleich zu blättern. Sie setzen sich je auf einen Stapel leerer Schachteln. Eine Ruhepause, bevor wir die nächsten Deckel öffnen. Es gibt noch so viele. Schachteln, meine ich. Ruhepausen bleiben vorerst die Ausnahme.