Friday, November 18, 2011

Zu dritt im Cockpit

Wenn Piloten in ihren Cockpits sitzen, Knöpfe drücken, Triebwerke starten, Checklisten abspulen, Navigationscomputer füttern und Funkmeldungen absetzen gibt es andere, die eben diese Meldungen entgegennehmen, verarbeiten, durchdenken, koordinieren und letztlich neue Anweisungen erteilen. Dabei gilt das Prinzip der bedingungslosen Unterwerfung. Das Sagen haben die Damen und Herren im Tower und in den Kontrollzentren. Uneingeschränkt. Die Flugzeugführer tun wie ihnen geheissen. Widerspruchslos. Und das ist in der Regel gut so.

Doch dahinter steckt mehr als simples Befehlen und Befolgen. Das Zusammenspiel zwischen Flugverkehrsleitstelle und Flugzeug garantiert mehrheitlich reibungslose Verkehrsflüsse auf Flughäfen und dicht beflogenen Luftstrassen, die übrigens schon lange nicht mehr nach Farben benannt werden. Mehr noch: Ziehen Piloten nicht nur egoistisch an ihren Steuerknüppeln sondern mit den Flugverkehrsleitern am gleichen Strick, wird die Effizienz gesteigert und die Umwelt geschont. Und erst noch viel Geld gespart.
Solches ist möglich, wenn gegenseitig transparent kommuniziert wird. Unnötige Stops beim Rollen beispielsweise kosten Geld. Um ein vollgetanktes und schwerbeladenes Langstreckenflugzeug mit vier Triebwerken aus dem Stand in Bewegung zu setzen, bedarf es einer gewissen Schubkraft und einer entsprechenden Spritmenge. Auch schlagen Direktanflüge günstiger zu Buche als endlose Warteschlaufen. Wissen die Piloten um die Anflugstaus, werden sie von den Lotsen frühzeitig informiert, kann allenfalls der Sinkflug verzögert oder frühzeitig die Geschwindigkeit abgebaut werden. Beides reduziert den Spritverbrauch.
Auf der anderen Seite sind die Lotsen bei ihrer Koordination der Verkehrsflüsse darauf angewiesen, dass die Flugzeugführer zugewiesene Geschwindigkeiten, Sinkraten und andere Restriktionen beachten. Oder dass sie, die Piloten, zur gegebenen Zeit bereit sind für den Triebwerkstart (was allerdings nicht immer nur in ihren Händen liegt...).

Vor langer Zeit – es war einmal – kamen die Damen und Herren Flugverkehrsleiter regelmässig in den Genuss sogenannter „Observerflüge“. Sie erhielten Gelegenheit, uns Piloten bei der Arbeit im Cockpit über die Schultern zu schauen. Dies half den Lotsen, pilotische Belange besser zu verstehen und die eigene Methodik zu erklären. Die Diskussionen förderten das gegenseitige Verständnis, schafften Transparenz. Bis eines üblen Tages der schöne Zauber dem Rotstift umtriebiger Finanzcontroller zum Opfer fiel.

Dadurch lassen sich nicht alle entmutigen. Wer will, findet Wege. Beispielsweise Chantal, nennen wir sie mal so, deren Anspruch an die eigene Professionalität auch vor einigen Franken, die sie in ein ID-Ticket investieren muss, nicht Halt macht. Und so begleitet sie uns dieser Tage nach Tel Aviv und zurück.
Bereits bei der Flugplanung, am (zumindest für einen Langstreckenpiloten) frühen Morgen, gesellt sich Chantal zu uns. Später schwingt sie sich routiniert auf den dritten Cockpitsitz – es ist schliesslich nicht ihr erstes Mal – und verfolgt interessiert unser Schaffen. Vor allem hört sie konzentriert mit. Auf den Zürcher Funkfrequenzen werden zahlreiche Grüsse ausgerichtet. Irgendwie klingen die Stimmen der Kolleginnen und Kollegen von der ATC vertrauter als sonst. Alles läuft wie am Schnürchen und auch bei der Rückkehr am Abend fädeln wir ungeniert und ohne Verzögerung in die Schlange der anfliegenden Maschinen ein.
Chantal schmunzelt. Wir Piloten geben uns Mühe, die Flughöhe der verbleibenen Distanz anzupassen, was ganz manierlich gelingt. Pünktlich parkieren (für die Leser aus dem Merkel-Land: parken) wir den A340 am Dock, setzen die Bremsen und stellen die Triebwerke ab. Wir sind uns näher gekommen; Chantal, der Copi und ich. Nicht unbedingt biologisch, zweifellos aber auf der beruflichen Ebene.

Wer auf eine Schlusspointe hofft, wird enttäuscht. Es gab keinen Haken. Keine randalierenden Passagiere, keine technischen Probleme, weder Donnersturm noch Schnee oder Nebel. Der Tag im Cockpit zu dritt war ein Erfolg. Erinnerungen an die guten alten "Jumbo-Flight Engineer"-Zeiten wurden geweckt. Wir haben ausgetauscht. Alles lief rund. Mit Ausnahme des Eishockeyspiels vielleicht, das ich nach der Landung besuchte. Wo der Sohn mitspielte und derart übel in die Bande gecheckt wurde, dass sich am folgenden Tag ein Besuch bei jenem Zahnarzt aufdrängte, der Notfalldienst verrichtete. Nach Röntgen, drei Spritzen und einer Stunde filigraner Dentalkunst war die Sache gegessen und der Frontzahn sah wieder ansprechend aus. A propos Essen: Auch Tim konnte nach Stunden des Hungerns wieder feste Nahrung zu sich nehmen.

So zumindest haben mir die Familienauguren berichtet. Denn ich war bereits auf dem Weg nach Delhi.

16 comments:

  1. … die richtige Nähe zu den Piloten erlebt man auch als Flugverkehrsleiterin – nennen wir sie hier einmal Sarah – nur in einem A320 Cockpit. Das Strickziehen in der Langsteckenführerkabine mit ihren Loungesesseln hat nie die gleiche Tiefenwirkung, wie im A320 Gartenhaus mit seinen Klappstühlen. Darum liebe … äh wie heisst sie schon wieder … Sarah, warum nicht einmal in den kleinen Bussen?

    Ein ehemaliger Jumbo-F/E

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  2. @nff: Kleine Busse werden oftmals von "grossen" Kapitänen geflogen. Gross in jeder Beziehung...

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  3. 2 gestandene Kapitäne, die um die Gunst einer Lotsin buhlen - die Glückliche kann sich von und zu nennen!

    TWR Mädel

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  4. Umgekehrt wäre mir lieber. Ich warte auf den Tag, an dem sich zwei Lotsinnen um einen Piloten streiten...

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  5. ...träumen darf Mann immer...

    TWR Mädel

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  6. Die Kommentare sind ja fast noch lesenswerter als der Bericht. Loungesessel, Tiefenwirkung, Gartenhaus und Klappstühle. Herrlich.

    Und wenn ich beim nächsten Mal hinter Dide einfädeln muss, weiss ich warum und ich würde wetten, "Chantal" (oder Sarah?) ist am Funk. :-)

    Unglaublich, mit welchen Mitteln sich meine Kollegen in der Anflugsequenz nach vorne mogeln wollen :-D

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  7. @G!: ...und werden wir dereinst gemeinsam im Cockpit sitzen, wirst du dich ebenfalls ob des flüssigen Verkehrsflusses freuen...

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  8. ...und noch ein Pilot, der sich um die Gunst der Lotsin bemüht, es wird immer besser...

    TWR Mädel

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  9. Ihr seit super, schade führt Tower Mädel keinen Blogg... :P
    Obwohl ich heute ob der ver"*ç*ç& Fliegerei wiedermal die Nase gerümpft habe, 3h Stunden Verspätung wegen Nebel in Venedig, könnt euch ja mal vorstellen wie chaotisch die Italianos geschaltet und gewaltet haben, vielleicht könnte Bettina ja auch mal denen über den Rücken schauen, die sitzen wahrscheinlich auf noch bequemeren Sesseln. Grüsse,

    S. aus B, M studierend

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  10. @Severin; Tja, warum führt TWR-Mädel keinen Blog? Ich habs ihr auch schon ans Herz gelegt. Wäre doch spannend, hautnah dran zu sein, an den Radarschirmen und Mikrophonen.

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  11. Vor langer Zeit – es war einmal – kamen die Damen und Herren Flugverkehrsleiter regelmässig in den Genuss sogenannter „Observerflüge“. Sie erhielten Gelegenheit, uns Piloten bei der Arbeit im Cockpit über die Schultern zu schauen. Dies half den Lotsen, pilotische Belange besser zu verstehen und die eigene Methodik zu erklären. Die Diskussionen förderten das gegenseitige Verständnis, schafften Transparenz. Bis eines üblen Tages der schöne Zauber dem Rotstift umtriebiger Finanzcontroller zum Opfer fiel.

    Observer Flights finden bei Skyguide immer noch statt. Sie bilden Teil der Grundausbildung und auch aktive Flugverkehrsleiter haben regelmässig Gelegenheit, sich darum zu bewerben.

    Falls TWR-Mädel bei Skyguide arbeitet, verstehe ich, dass sie kein Blog führt. Aussenkommunikation durch Mitarbeiter ist bei Skyguide nicht vorgesehen. Wer bei Überlingen dabei war, möchte üblicherweise auch selbst nicht in der Öffentlichkeit stehen. Und sind wir ehrlich: Anonym als Flugverkehrsleiter(in) zu bloggen funktioniert auf Dauer nicht, zu klein sind die Verhältnisse bei Skyguide.

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  12. @Martin: Observerflüge gibt es in der Tat noch: Aber nur alle drei Jahre - und in der Freizeit der Controller.

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  13. Quote:
    Unnötige Stops beim Rollen beispielsweise kosten Geld. Um ein vollgetanktes und schwerbeladenes Langstreckenflugzeug mit vier Triebwerken aus dem Stand in Bewegung zu setzen, bedarf es einer gewissen Schubkraft und einer entsprechenden Spritmenge.
    Unquote.

    Abhilfe soll da ja in Zukunft der "TaxiBot" schaffen, wobei ich mich frage, ob der einen automatischen Roboterarm besitzt, der nach erfolgreicher Mission ausfährt und den Nosegear-Pin zieht ;-)

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  14. Danke, Dide, wir war nicht bewusst, dass die Observer Flights nach der Ausbildung in der Freizeit erfolgen müssen.

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  15. (Und ich versuche das in Richtung Skyguide weiterzuleiten. ATCOs und Piloten, die Observer Flights für sinnvoll halten – und umgekehrt Observer Days bei der ATC – sollten das ebenfalls tun, beispielsweise an ihre Gewerkschaften.)

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  16. @MArtin: Zweifellos eine gute Idee! Unter dem Motto; Steter Tropfen höhlt den Stein". Wäre toll, wenn wir damit etwas bewirken könnten.

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