Tuesday, November 8, 2011

Am Tag danach


Ein vielversprechender Morgen. Stahlblau der Himmel. Zumindest jene Flecken, die ich zwischen den Wolkenkratzern ausmachen kann. Die Luft ist frisch aber nicht kratzig, die Temperatur kühl jedoch nicht frostig.

New York, Manhattan. 24 Stunden nach dem Marathon. Montagmorgen. Menschenmassen auf dem Weg ins Büro. Hupende Autos, heulende Sirenen. Auf einer Kreuzung regelt eine uniformierte Polizistin den Verkehr. Mit einer Trillerpfeife im Mund, die sie oft und gerne einsetzt, und mit weissen Handschuhen, derer sie sich immer wieder mal entledigt. Kommunikation ohne Worte. Die Mütze hat die Verkehrshüterin südamerikanischer Abstammung tief in die Stirn gezogen. Amüsiert beobachte ich ihr Treiben. Mit heftigem Winken, begleitet von kurzen Piffen, treibt sie die Autofahrer an. Dann hebt sie gebieterisch die rechte Hand, stoppt die, auf der 33rd Street heranbrausenden Wagen, dreht sich um 90 Grad und heisst jene, die auf dem Broadway warten an, ihre Fahrt fortzusetzen. Die New Yorker tun, wie ihnen geheissen. Ob im Auto oder zu Fuss. Geduldig lassen sie den Morgenverkehr und die pfeifende Polizistin über sich ergehn.
Doch es sind nicht nur Einheimische, die sich morgens um Acht auf der Strasse tummeln. Wie zu jeder Tages- und Jahreszeit bevölkern zahlreiche Touristen, und an diesem Morgen auffallend viele SportlerInnen die Innenstadt. Woran ich sie erkenne? Für einmal an der Art ihrer Fortbewegung. Oftmals schleppend, hinkend, einigen ist die Pein ins Gesicht geschrieben.

Gestern, als wir mit dem Bus vom Flughafen in die Stadt fuhren, entdeckten wir den Strom der LäuferInnen auf einer Brücke, die über die Autobahn führt. Später begegneten sie mir in den Strassenschluchten, auf dem Weg in ihre Hotelzimmer. Sie fröstelten, einige zitterten. Über die Schultern hatten sie eine wärmende Decke geschlagen, die in riesigen Lettern die erfolgreiche Absolvierung des New York Marathon belegte.

47000 Menschen quälten sich über die 42 Kilometer. Heute ist Montag und viele verlassen New York, um zurück in die Heimat zu fliegen. Auch unter unseren 226 Passagieren finden sich zahlreiche LäuferInnen, unter anderem der ehemalige Ski-Abfahrer Marco Büchel oder Markus Gygax, der Kommandant der Schweizer Luftwaffe. Zuletzt begegnet bin ich ihm im Januar 2010 in Abu Dhabi. Bei einem Raclette-Schmaus im Haus des Schweizer Botschafters. Wir sassen am selben Tisch. Heute sitzen wir im selben Flieger. Rollen auf dem JFK-Airport 25 Minuten bis zum Start und fliegen in sieben Stunden und 20 Minuten nach Zürich. Ich offeriere ihm für die Landung einen Sitz im Cockpit, das sich deutlich geräumiger präsentiert als die Pilotenkanzel eines Kampfjets. Pünktlich setzen wir auf, beinahe mit militärischer Präzision. Schade, dass sich Marathonläufe nicht in gleicher Manier wie ein Langstreckenflug planen lassen.

Schade auch, dass die sportliche Spitzenleistung mit Blasen und schmerzenden Muskeln honoriert wird. Blasen und schmerzende Muskeln, unter denen heute – am Tag danach – mit Sicherheit einige tausend Teilnehmerinnen des New York Marathon leiden.

Bei einigen könnte es etwas länger dauern...


2 comments:

  1. wäre das nichts für dich? Viele Flughäfen eignen sich doch bestens für's Training ;-)
    und grad so schön passend: http://niemann.blogs.nytimes.com/2011/11/07/new-york-city-marathon/

    Daniel

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  2. … der einzig sichere Weg einmal im Leben beim Eindunkeln ein Bier in einer Bar in Harlem zu trinken, ist die Teilnahme am NY Marathon. Ich hab's vor ein paar Jahren gemacht. Spitzensportler erleben das nicht, nur die Gemütlichen kommen in den Genuss dieses Abenteuers. Musst Du auch mal machen :-)

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