Thursday, November 24, 2011

Vom Regen und von nackten Beinen

Der Regen trommelt auf die Frontscheibe. „Swiss 14E turn right Heading 260“. Der Copi, nennen wir ihn Roland, dreht am entsprechenden Knopf für die Bedienung des Autopiloten und der A330 legt sich in eine sanfte Rechtskurve. Um 1600 Uhr hätten wir landen sollen, jetzt, kurz bevor wir in den Endanflug auf die Piste 04R des JFK-Airport eindrehen, stehen die Zeiger bereits bei 16.35 Uhr. Wir fliegen durch Wolkenfetzen, die sich vor dem dunklen Grau des Abendhimmels in mattem Weiss abzeichnen. Auf 3000ft bläst der Wind noch immer mit 40 Knoten. Immer wieder schütteln uns Böen. Wir ziehen unbeirrt unsere Bahn

Roland hat erst gerade auf den A330 umgeschult. Er ist jung, hat 2004 seine Matur gemacht. Da war die Swissair bereits Geschichte. Sein Training ist noch nicht abgeschlossen. Hinter uns sitzt ein Instruktor und verfolgt aufmerksam das Geschehen. Dabei konzentriert er sich vor allem auf Roland, der seinen Line-Check absolviert und der seine Sache ausgezeichnet macht. Seit neun Stunden sind wir bereits in der Luft. Wenn sich die Jetstreams über dem Nordatlantik halten, werden wir morgen Nacht leichten Flügels nach Zürich sausen.

„Swiss 14E turn further right Heading 020, follow Localizer runway 04R and maintain 180kts till Ebbee“. Wir drehen weiter und armieren den Autopiloten. Drei Meilen vor uns tuckelt ein A320 einer amerikanischen Airline, hinter uns folgt, im gleichen Abstand, eine Maschine der EL AL. Wieder rütteln Böen am Flugzeug. Es wär, als würden sie uns nach langer Flugzeit mahnen, nicht einzuschlafen, wach und konzentriert zu bleiben, bis dass wir an unserem Parkplatz angelangt und die Triebwerke abgestellt sind.

Eigentlich wäre dies ja mein freier Tag. Ich könnte entspannt in unserer Wohnung sitzen und lesen, dösen, Radio hören, mich um Regen und Böen in New York foutieren. Am Donnerstag hätte ich nach Tokyo fliegen sollen. So wars ursprünglich vorgesehen. Franziska weilt noch immer auf Freundschaftsbesuch in Doha. Ich versuche, das familiäre Rest-Equilibrium aufrechtzuerhalten. Heute beispielsweise hatte ich die Absicht, für Nina und eine ihrer Freundinnen nach der Schule Mittagessen zu kochen. Ein bescheidenes, einfaches Mahl (mehr kann ich nicht) ohne Salat (meine Sauce...).

Roland hat den Flieger sauber auf der ILS stabilisiert. Aufgrund des starken Gegenwindes erhöht der Bordcomputer unsere Anfluggeschwindigkeit um satte 25 Knoten. Das wird sich später noch ändern. Nochmals durch einen Regensack, dann tauchen am Horizont die Pistenlichter auf. Es wird Rolands erste Landung in New York. Sein erster Besuch im „Big Apple“ überhaupt. Er schaltet den Autopiloten aus und ich starte meinen Scheibenwischer, der in der Folge mit regelmässigem Surren wie ein Irrer auf meiner Frontscheibe hin- und herfegt.

Der Anruf vom Crew Control kam unerwartet. Am Dienstagabend, ich sass gerade in einem Café und wartete auf Nina. Der Kollege am anderen Ende der Leitung wirkte etwas verloren. Es würden Kapitäne für drei A330-Flüge vom Mittwoch fehlen, erklärte er. Ob ich allenfalls gewillt wäre, auszuhelfen. Da sass ich Unschuldiger nun, und hatte unvermittelt die Wahl zwischen vier Flügen: Mumbai, Delhi oder New York am Mittwoch, oder mein ursprünglich geplanterTokyo vom Donnerstag. Zuerst wollte ich wissen, wie ein Wechsel meine anstehenden Ferien beeinflussen würde. „Kein Problem“, meinte der Suchende vom Crew Control. „Sie sind früher zurück und haben länger frei vor den Ferien“. Mit Speck fängt man Mäuse. Ich versuchte abzuwägen: Kinder, Ferien, Freitage, Fukushima, indische Kopfmassage oder Central Park – dann entschied ich mich spontan für New York.

Noch wenige Sekunden bis zur Landung. Roland kämpft mit den Elementen. Der Wind ändert in Richtung und Stärke und macht es ihm nicht einfach. Die Geschwindigkeit nimmt ab, die Triebwerke heulen, bevor sie wenig später wieder zurückspulen. Sanft setzen wir auf. Der dunkle Betonriemen schluckt uns wie ein hungriges Raubtier. Hinter uns nähert sich, bedrohlich nah, die EL AL-Maschine. Wir drehen auf den nächsten Rollweg, wechseln die Funkfrequenz und beginnen mit der „After landing“-Checkliste. Es war dies erst Rolands fünfte A330-Landung im Streckeneinsatz. Keiner der Passagiere hats bemerkt. Ich hätte es nicht besser gekonnt. In New York regnet es noch immer.

Morgen ist Thanksgiving. Alles ist bereit für die grosse Parade durch Manhattan. Sogar die Hunde werden kostümiert. Immerhin dürfen sie, anders als tausende von Truthänen, weiterleben. Ich mag es ihnen gönnen.

Und morgen wird dann auch die Sonne scheinen. Zum Glück. Sonst fröre der Feuerwehrmann noch an seine nackten Beine...



10 comments:

  1. gut gemacht, Roland!
    gut geschrieben, Dide!

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  2. Toller Artikel! Wird die Anfluggeschwindigkeit automatisch durch das FMS erhöht, oder müsst ihr dazu die dort kalkulierte Geschwindigkeit in den Bordcomputer eingeben?

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  3. Auch wenn ich dir die Ferien von Herzen gönne, hoffe ich doch sehr, dass der Blog deswegen nicht in einen Dornröschenschlaf versetzt wird! Die treue Leserschaft bekommt sonst womöglich noch Entzugserscheinungen...

    Gute Erholung!
    TWR Mädel

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  4. Ein werdender Instruktor, nennen wir ihn einmal Seppli, schaut wehmütig nach Westen und denkt gerade an CMD Dide, der in einem Starbucks sitzend einer Holden nachschaut (nennen wir sie einmal Carol) und den Laptop mit Buchstaben füttert. Wer weiss, vielleicht pilgerte der CMD ja nach dem Kaffee Richtung 5th und kaufte an diesem Black Friday im Glastempel vom Marketinggenie (nennen wir ihn einmal Steve) einen schönen MAC? Es wäre ihm zu gönnen, endlich von den Vorteilen der modernen Technik zu profitieren!

    Nachtrag: Ich bin überzeugt, dass der Wanderer und der andere Nicht-Apple-User, nennen wir ihn einmal Guido, mich jetzt mit Kommentaren überschütten werden:-)

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  5. @Anonymous 2: Wir geben die Windgeschwindigkeit im Bordcomputer ein. Das System berechnet dann selber den entsprechenden Zuschlag auf die Anfluggeschwindigkeit. Das auf Airbustypen genutzte Prinzip ("Ground Speed Mini")hält die kinetische Energie (Geschwindigkeit über Grund) möglichst konstant und verhindert gleichzeitig, dass die Energie des Flugzeuges unter den kritischen Wert fällt. Die Rechnung basiert auf dem aktuellen Flugzeuggewicht und der Gegenwindkomponente.

    @TWR-Mädel: Mal schauen, ob sich in den Ferien interessante Schreibansätze bieten...

    @nff: Den mit harten Bandagen geführten Schlachten des Black Friday bin ich zum Glück entronnen. So kommt es, dass ich, statt in den "Apfel" zu beissen noch immer durchs offene "Fenster" glotze...

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  6. @Dide: ich zitiere aus einem der Werke eines der Mitglieder der fliegenden Bloggerelite: "Wer von Dietikon nach Schlieren wandert und nichts erlebt, der wird auch auf einer Weltreise nichts erleben"

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  7. @TWR-Mädel: Gut gebrüllt, bzw zitiert. ABER - ich erlebe eben auf meinen Weltreisen viel! Deshalb wandere ich weder von Dietikon nach Schlieren, noch zweifle ich daran, dass sich die Welt im Kleinen offenbart.

    Gruss

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  8. @Dide:...na dann hoffen wir, dass dir die interessanten Schreibansätze auch in den Ferien treu bleiben, egal ob Weltreise oder kurze Wanderung...dein Blog hat nämlich ein gewisses Suchtpotenzial...

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  9. @Dide
    Wirklich gut geschrieben. Merci.

    @nennen wir ihn Seppli
    Du hast mein volles Beileid. 2 Wochen Kürsli, Kurzstrecke und dann erst noch ein MAC. Da will ich wirklich nicht noch Öl ins Feuer giessen...

    Gruss vom Wanderer

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  10. @den Wanderer: Ich staune, dass du nebst der Betreuung des doppelten Nachwuchses noch Zeit für Kommentare hast...

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