Thursday, April 5, 2012

Sprung-Sitz

Das wertvollste Gut des Kapitäns ist seine Macht. Und das Schöne an der Macht ist die Willkür.

Was in der Familie und im Flugfunk (!) nur bedingt Gültigkeit hat, greift dafür bei vollen Fliegern und attraktiven – nein, nicht Flight Attendants! – Destinationen umso mehr. Dann nämlich, wenn Kollegen oder Kolleginnen einen Jumpseat benötigen, ansonsten ihre Reisepläne zu scheitern drohen. Dieses traumatisierende Gefühl der Hilflosigkeit kennen alle, die nicht gebucht bei voll gebuchtem Flugzeug unterwegs waren.
Standby-Tickets sind nichts anderes als Bestandteil des Salärs. Sie werden oft und gerne genutzt, erweisen sich jedoch seit aviatischen Urzeiten als Quell der Frustration, und so mancher spontane Kurztrip fand sein frühes Ende bereits vor dem Check-In Schalter oder am Abflug-Gate nach refusiertem Boarding.

In der Not frisst der Teufel Fliegen... oder der Airliner reist eben auf dem Jumpseat.
So unbequem wie unbefriedigend zwar, dafür in der Hoffnung, vor Ablauf der Ferien oder vor Wiederaufnahme der Erwerbsttätigkeit an die gewünschte Destination oder an den Heimatflughafen zu gelangen. Doch auch für den harten Klappsitz gibts keinen Garantieschein, denn die Anzahl ist limitiert; Je nach Umfang der arbeitenden Besatzung stehen Zivilreisenden insgesamt zwei bis vier Jumpseats zur Verfügung. Die einen in der Kabine, die anderen im Cockpit. Doch wenn der Flieger überläuft darf man davon ausgehen, dass auch andere auf den Klappschemel aspirieren. Neben Bangkok und HongKong ist New York äusserst begehrt. Ein Dauerbrenner. Zum extravaganten Einkaufsbummel an die Fifth Avenue. Warum eigentlich nicht? Wo doch alles so grauslig teuer ist in der Schweiz.

Wer einen Jumpseat wünscht, wendet sich in der Regel an den Kapitän. Timing ist alles und so erhalte ich regelmässig Anfragen für Flüge, die erst in drei Wochen stattfinden. In der Regel per Email, manchmal via SMS, selten landet eine geschriebene Karte (ja, das gibt es immer noch!) in meinem internen Postfach. Stets nett formuliert, mit einem Hauch von schlechtem Gewissen, manchmal mit dem generösen Angebot, bei Bedarf in der Bordküche mitzuhelfen. Ich antworte immer, verzichte vor dem Abflugtag jedoch auf konkrete Versprechungen. Man weiss ja nie. Manchmal, an Feiertagen oder bei besonders reizvollen Destinationen, werden Besatzungsmitglieder von Ehefrauen, -männern, anderen PartnerInnen, Erbtanten, Cousins oder Schlagersängern begleitet, was die Chance für Aussenstehende natürlich weiter schmälert. Denn BegleiterInnen der Crew geniessen immer Priorität bei der Vergabe der „Sprung-Sitze“. Schliesslich freut sich niemand, seiner gestrandeten Freundin beim Pushback durchs Cockpitfenster zuzuwinken...

Die Vergabe der Jumpseats liegt also in der Macht des Kapitäns, der willkürlich und, losgelöst von sämtlichen Zwängen der Seniorität, zuordnen kann. Er allein verfügt über diese Kompetenz. Nicht selten spricht er sich dabei mit dem Maître de Cabine ab. Denn es ist die Cabin Crew, die über lang gestreckte Beine beim Galley stolpert oder bei nächtlichen Diskussionen belauscht wird.
Manchmal fragen auch Kollegen für Kollegen von Kollegen. Das Geschäft mit den Jumpseats zieht weite Kreise. Doch es bleibt eines unserer letzten Privilegien, und es gilt diese sorgsam zu hüten. Als wär's das letzte Schäflein auf der Weide.
Nicht alle Airlines erweisen sich so tolerant wie die Swiss! Dies sei hier, der Vollständigkeit und der Fairness halber, ebenfalls erwähnt! Bei Etihad schaffte die britisch-australische Managertruppe innert weniger Jahre die Jumpseat-Pfründe ab. Einzig fürs fliegende Personal sind Klappsitze noch erlaubt. Und nur in der Economy-Class. Keine Gattinnen oder Kinder. Auch die begüterte Erbtante bleibt oder bliebe dann halt bei voller Maschine in Manila stehen. Oder in Kuala Lumpur. Oder vielleicht auch in Genf.

Ach ja. Dann war da noch jener pensionierte Kollege, der eine Jumpseat-Bewilligung für einen Flug erbat, den ich auch nach längerem Suchen nicht in meinem Einsatz fand. Ein Hellseher? Mitnichten. Mein Einsatz blieb unverändert und ich wies den Suchenden, höflich grüssend, weiter.
Nun überlege ich mir, für die intensiven Reisemonate des Sommers eine persönliche Assistentin zur Bewältigung aller Requests anzustellen. Temporär, rein vorübergehend. Ideal wäre jemand aus der Familie, weil stets in der Nähe und kostenneutral. Doch die Ehefrau winkt ebenso ab wie die Letztgeborene. Den Sohn wage ich schon gar nicht zu fragen. Ich verstehe sie nur zu gut.

Vielleicht eine Studentin. Oder ein Flight Attendant mit TZV.
Selbstverständlich hätte sie den nächsten Jumpseat-Wunsch auf sicher, Inshallah...

9 comments:

  1. ...vielleicht hart und unbequem, aber dafür mit garantiert sensationeller Aussicht und der eigentlich unbezahlbaren Möglichkeit, den virus aviaticus hemmungslos auszuleben...

    Und wie heisst es doch so schön, wie du mir... ;-)

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  2. Weiss nicht, wann die Managerrunde in den Emiraten gewütet hat, ich bin aber noch heute bei der Durchsicht der Fotos aus den Ferien dankbar, dass ich damals am CC jump seat mit einem deiner portugiesischen Kollegen von München nach Abu Dhabi kutschiert wurde - ansonsten hätte der Anschluss nach Sydney in der halbleeren Etihad First garantiert nicht geklappt. Wer weiss - vielleicht warst ja sogar du "up front" auf einem drei anderen Legs.

    Wer eine Reise tut, der kann was erzählen. Ich hab den harten Sitz jedenfalls genossen und bin froh, dieses Privileg bei Etihad noch erleben zu dürfen.

    LG
    Florian - der vielleicht in einem halben Jahr schon bittend und bettelnd eine Postkarte in dein Fach steckt :-))

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  3. Um ehrlich zu sein, ich würde sogar einen egal-wohin Businessclasssitz gegen einen Cockpit-jumpseat tauschen. Kann ich dir bei Gelegenheit eine Karte schreiben :-)

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    1. Lieber Prechiblog, es ist wie sonst im Leben: Alles eine Frage des Preises...:))

      Gerade gestern habe ich von einer netten Dame, die vor Wochenfrist auf dem JS mitflog, eine Packung Sprüngli-Pralinen nach Hause geschickt erhalten...

      Auch Piloten sind eben bestechlich...

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  4. @TWR Mädel: Dem habe ich, wie den meisten deiner Ausführungen (oder Anweisungen), nichts entgegenzusetzen!

    @Florian: Mit den Jumpseats verhält es sich so wie bei vielen anderen Dingen auch: Das Mass der Vernunft ist ausschlaggebend. Dies gilt für die Regelungen durch Management und Behörde wie auch für die Vergabe durch die involvierten Besatzungen. Und last but not least müssen sich auch die Jumpseat-Reisenden bewusst sein, worum es hier geht. Oftmals ist dies leider nicht der Fall. Wer auf dem Jumpseat mitfliegt muss eine gewisse Komforteinbusse akzeptieren.

    ... wir können das dann ja ausführlich besprechen, wenn du dereinst einmal mitfliegst...

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  5. Au ja, hatte einmal das Vergnügen auf einem JS mitzufliegen. Muss sagen ist doch recht eng in einer 737 ;) was mir allerdings gar nichts ausgemacht hat, war einer der schönsten Tage die ich erleben durfte :)

    Aaaaalso wo müssen die schriftlichen Bewerbungen (und Päckchen) denn hingerichtet werden ? :)

    Grüße
    Domi

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  6. Hallo Dominique: nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der erste Schritt zum JS-Permit ist immer der Kauf eines Tickets...:)

    Ostergruss

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  7. :) das wäre vermutlich vorteilhaft, könnte vielleicht Ärger am Check-In / mit der Security-Abteilung geben

    allerdings ist vorher dann natürlich die Frage zu welcher Zeit und zu welcher Destination der gewünschte Kapitän unterwegs ist bzw sein wird ;)

    Ostergruss zurück :)

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  8. Sprung Sitz oder Logen Platz?
    Ich wäre jedenfalls bereit, für den Klappstuhl einen Aufpreis zu zahlen.
    Nehmen wir einmal an, eine Airline käme auf die Idee, so einen Sitz anzubieten; und weil es nur wenige davon gibt, würden Jumpseats versteigert: Wie viel wären potenzielle Kunden bereit zu bieten? Für eine Mitfluggelegenheit im russischen Sojus Raumschiff haben Leute schliesslich auch 20 Millionen Dollar bezahlt...
    Crowi

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