Ein Expat im Exil, der bin ich ja. Im Exil, das in diesem Fall identisch ist mit meiner Heimat. Einer Heimat, mit historischen Helden, deren Popularität weit über unsere Landesgrenzen strahlt und mitunter gar den italienischen Komponisten Gioacchino Rossini bei seinem Schaffen inspiriert hat. Einer Heimat aber auch, mit sportlichen Highlights, zu denen in diesen Tagen und Wochen die aktuelle Playoff-Finalserie im Eishockey gehört.
Am Samstagabend toben die Schlachten. Gleich an zwei Schauplätzen stehen sich Helden und Krieger gegenüber. Im Opernhaus schmettert Rossinis Guillaume Tell auf holzigen Brettern seine Arien, und im nur wenige Kilometer entfernten Hallenstadion kurven die Mannen des ZSC und des SCB filigran übers Glatteis.
Franziska und ich haben unseren Opernbesuch mit Freunden von langer Hand geplant. In Anlehnung an meine Frei-Eingaben im Swiss-Wunschsystem und in Unkenntnis der Entwicklung der Playoff Finalserie. Aus diesem Grund sitze ich an diesem Wochenende eben nicht in lockerer Freizeitkleidung in „der Halle“, sondern in Anzug und Krawatte auf einem mit Samt bezogenen Holzgestühl einer Parkett-Loge des Opernhauses. In freudiger Erwartung zwar auf den Apfelschuss mit Paukenschlag, doch so ganz bin ich doch nicht bei der Sache.
Vorerst reisst mich die Ouvertüre in ihren totalen Bann. Die pompöse Eröffnung des Musikspektakes, szenisch kühn untermalt mit einem Bühnenbild aus heutiger Zeit, fährt unter die Haut. Die flinken Streicher, das schmetternde Blech und die donnernden Timpani lassen mich erschaudern. Im Hallenstadion wird derweil vor dem Puckeinwurf die Landeshymne intoniert. Auch nicht schlecht. Anders als im Opernhaus erheben sich die Zuschauer, schwenken ihre Fahnen und singen mit. Ein Umstand, der im noblen Musiksaal eher weniger geschätzt würde.
Beide Schlachten nehmen also, nach wuchtiger Eröffnung, ihren Lauf. Aug in Aug mit Tell ertappe ich mich alsbald dabei, wie die Konzentration aufs Musische nachlässt. Kaum haben sie den alten Melchthal um die Ecke gebracht, plagt mich die bange Frage, wer denn wohl ennet des Zürichbergs den besseren Start erwischt haben möge.
Die Arien lullen mich ein, ebenso das sanfte Säuseln der Streicher. Auf der Bühne sticht mir eine Toblerone-Werbung ins Auge, die Chöre holen Anlauf. Ob der Puck wohl schon ein erstes Mal im (Berner) Netz gezappelt hat...? Es dauert noch viele lange Takte bis ich vernehme, dass im Hallenstadion die Löwen innert weniger Minuten mit einer Tor-Triplette in Führung gegangen sind.
Nach zwei Akten gehts im Opernhaus in die Pause. Nicht ganz fair: Nur einmal pinkeln bei vier Akten. Beim Hockey werden bei lediglich drei Dritteln zwei Pausen geboten. Statt Bratwurst und Bier gönnt man sich im Opernhaus eher ein Cüpli, allenfalls mit Käseküchlein. Beim Gedränge vor der Theke allerdings kann ich keinen wesentlichen Unterschied zur Eishalle ausmachen. Allenfalls beim Bezahlen. Die Nötli sind nicht ganz die gleichen...
Auf mein Handy erhalte ich weiter Angaben zum Verlauf der Schlacht auf dem Eis. Dann startet für uns bereits der dritte Akt. Die Spannung steigt, denn auf dem Dorfplatz duellieren sich Tell und Gessler mit melodiösen Wortgefechten, allerdings mit minimem Körpereinsatz. Derweil die Berner mit Plüss und Rüthemann verzweifelt versuchen, die Zürcher Defensive zu durchbrechen. Statt des Gesangs behelfen sie sich dabei ihrer Kufen und Stöcke, raspeln der Bande entlang und müssen dabei den einen oder anderen kernigen Check einstecken.
Auch beim Tell spitzen sich die Ereignisse zu. Der Volksheld fuchtelt bedrohlich mit seiner feuerroten Armbrust, bevor er sie schliesslich unter den Arm klemmt und mit dem ersten Pfeil den Apfel auf des Töchterleins Kopf löchert. Richtig gelesen; die Inszenierung will modernen Ansprüchen genügen und macht aus dem Walterli ganz einfach eine Jemmy.
Die Schlachten und Angriffe hüben und drüben treiben mich beinahe in den Wahnsinn und es ist nicht nur die Hitze und der unbequeme Stuhl, die mich hin- und herrutschen lassen.
Während im Hallenstadion das letzte Drittel läuft, gehts im Opernhaus in die Overtime. Noch immer befindet sich der arme Tell in Gesslers Händen und nur dank eines vierten Akts gelingt dem Helden die Flucht. Ein begeisterndes Finale setzt dem Ringen um Freiheit und Unabhängigkeit nach dreieinhalbstündigem, erbittertem Kampf ein Ende. Als der Vorhang fällt und der Applaus losbrandet, auferstehen die Toten und alle freuen sich, Hand in Hand. Und auch im Hallenstadion haben die Krieger ihre Waffen längst abgelegt. Mit einem kleinen Unterschied allerdings: Die Tellengeschichte ist abgeschlossen. Ausgestanden. Anders bei den Kämpfern auf dem Eis. Eine weitere Schlacht ist notwendig, und es muss sich erst weisen, wer am Dienstagabend in Bern die Trophäe in die Höhe stemmen darf.
Auch dieses Gemetzel werde ich verpassen. Denn zu dieser Stunde sitze ich bereits wieder in einem Starbucks in San Francisco. Und dort kümmern sich die Menschen weder um den ZSC noch um den SCB.
Und der Willhelm Tell ist ihnen erst recht egal...
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