Die Nester sind geplündert. Die Eier getütscht und gegessen. Mit Ausnahme jener, die der Grossvater, in Anlehnung an verflossene Abu Dhabi-Zeiten, liebevoll mit Arabischen Elementen bemalt hat. „Zu schade zum Essen“, sind sich alle einig.
Tatort am Sonntagabend, ausnahmsweise mit einer Fortsetzung am Ostermontag. Diese verpasse ich leider, ebenso wie die vierte Begegnung der Eishockey-Titanen von Zürich und Bern. Meine Osterfreitage dauern lediglich bis Sonntag. Am Montag tue ich das, worum mich so viele beneiden: Ich gehe fliegen.
Für den Krimi gibts Mediatheken, für die Sportresultate Söhne, Dispatcher und gute Feen, die mich auf dem Laufenden halten. Kein Grund zur Klage also.
Die Gattin – ebenfalls eine gute Fee (die Beste!) – fährt mich am Vormittag an den Flughafen. Im Vorfeld der Feiertage wurden übervolle Parkhäuser angedroht. Ein Ärgernis. Also lasse ich mich chauffieren. In weiser Voraussicht.
Nach Chicago soll’s heute gehen. Frisch geduscht und uniform gewandet, den Koffer ordentlich gepackt, was um diese Jahreszeit eine knifflige Angelegenheit ist: bläst der Wind noch Schneeflocken durch die Strassen oder lassen frühlingshafte Sonnenstrahlen bereits erste Knospen spriessen? Warm oder kalt, feucht oder trocken, über- oder unternull? Am besten ich packe ein bisschen Winter und Frühling in den Koffer. Bringt übrigens den Vorteil, dass weniger Platz für unnütze Einkäufe bleibt. So gerate ich gar nicht erst in Versuchung.
Kaum habe ich das Ops betreten, begegne ich jenem Kollegen, der Toni, mich und unsere Frauen einst, im Mai 2006, auf dem letzten Flug vor der Abreise nach Abu Dhabi begleitete. Liegt diese Rotation nach Los Angeles wirklich schon sechs Jahre zurück? Wo ist die Zeit nur geblieben...?
Aus dem damaligen Copi ist ein strammer Kapitän im Nebenamt geworden. Hauptsächlich wandelt der Kollege nämlich in der Wandelhalle des Bundeshauses. Als Politiker und Nationalrat kümmert er sich um die Beschaffung von Kampfflugzeugen oder um schwindende Geheimnisse unserer Banken. Da kann man eigentlich nur verlieren. Er grinst trotzdem und streckt mir die Hand entgegen. Lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Der letzte Handshake, er muss vor sechs Jahren gewesen sein. Ob ich eines Tages vielleicht angeben kann, mit einem Bundesrat als Copi an meiner Seite nach L.A geflogen zu sein...?
In der Garderobe schnappe ich mir Hut und Jacket aus dem Kasten, dann logge ich am Computerterminal ein. Das System quittiert mit „You are successfully checked in“. Auf dem Weg zur Kaffeemaschine bleibe ich bei drei fachsimpelnden Kollegen hängen. Auch sie sind vor langer Zeit aus dem Copi-Dornröschenschlaf erwacht. Heute wirken sie als Fluglehrer, Cheffluglehrer oder Chief Examiner der Swiss. Mit zwei von ihnen war ich vor Jahren unterwegs. Sie sassen artig zu meiner Rechten und taten wie geheissen. Der dritte war Fliegerschüler, als ich den Leutnant abverdiente. Allesamt hoffnungsvolle Jungpiloten mit schlummernden Ambitionen. Die Zeit schraubt an vielen Rädern. An grossen wie an kleinen. Macht junge Krieger zu grossen Helden, und Grünschnäbel zu alten Hasen.
Die Generationen wechseln sanft und über lange Zeit kaum spürbar. Bis uns eines Tages die Erkenntnis wachrüttelt, dem über Jahre verinnerlichten Lebensbild entwachsen zu sein. Ähnlich wie bei einem Anflug unter turbulenten Wetterbedingungen, sind Korrekturen gefragt. Sonst droht die Übung zu scheitern.
Sprösslinge von Kollegen aus der Fliegerschule haben sich mittlerweile in den Cockpits sämtlicher Airbustypen eingenistet. Eine junge Garde mit ehrgeizigen Visionen. Viele Copiloten von gemeinsamen Flügen aus früheren Zeiten beginnen im Verlauf der kommenden Monate ihre Kapitänsausbildung. Und bald schon werden auf dem rechten Sitz mehrheitlich Kollegen wirken, deren Ideale näher bei jenen meiner Kinder liegen als bei den meinigen. Dies alles tut der Freude an der Fliegerei jedoch keinen Abbruch. Das Teamwork im Cockpit verliert nichts von seiner Qualität. Im Gegenteil – immer mehr geraten die alten Leiden in den Hintergrund und es beginnt sich eine wohltuende Aufbruchstimmung breitzumachen.
Und zu guter Letzt begegne ich bei meiner Arbeit ab und an auch dem eigenen Sohn. Heute beispielsweise ist er am Gate für die Abfertigung unseres Chicago-Fluges zuständig. Ich gehe hoch zum Schalter und muss schmunzeln, als ich Tim in seiner Uniform hinter der Computer-Tastatur sitzen sehe. Er diskutiert mit Passagieren, drückt Tasten, kontrolliert den Bildschirm. Die Economy ist überbucht. Dennoch laufen die Vorbereitungen rund. Am Schluss finden alle in der langen Röhre Platz und wir werden pünktlich vom Traktor zurückgestossen.
Irgendwann, über der Südspitze Grönlands, wir geniessen gerade eine traumhafte Sicht auf Eis und Schnee, erhalten wir vom Dispatch in Zürich die Meldung, dass die Berner Bären die Zürcher Löwen besiegt haben. So denn halt. Chicago rückt langsam näher. Noch rund fünf Stunden. Die Zeiten ändern, politische Grenzen verschieben sich, doch Städte werden darob nicht verrückt. Und das ist gut so. Zumindest für uns Piloten.
Südspitze Grönlands aus 36000 Fuss