Sportler brauchen Kohlenydrate. Die Batterien der Elektroautos werden mit Strom aufgeladen, Windmühlen drehen in bewegter Luft und die Triebwerke der heutigen Verkehrsflugzeuge schlürfen Kerosin. Möglich, dass in zehn Jahren andere Gesetze bei der Energieversorgung gelten, doch heute, im Jahre 2012, kann auch vor dem Hintergrund intensiver Forschung bestenfalls darüber spekuliert werden.
Die Mittel sind gegeben, nicht aber die Menge. Alles klar? Käumlich.
Am Anfang jedes Fluges steht die Planung; Studium des Wetters, der NOTAMS (NOtice To AirMen), der Routen und ihrer Besonderheiten. Am Schluss dieser Phase – gleichsam die Krönung – fällt der Fuel-Entscheid. Dabei werde ich mich mit dem Copi kaum darüber unterhalten, womit wir die Tanks unseres A330 nach Chicago füllen, die Diskussion dreht sich vielmehr um die Menge.
Fuel-Entscheide sind so individuell wie ein Haarschnitt oder die Wahl des Deos. Hier prallen Erfahrung, Grundhaltung, Ökonomie und persönliche Präferenzen aufeinander. Zusätzlich erschwerend ist die Tatsache, dass sich die Philosophie der Airline (so wenig Sprit wie möglich) und jene der Besatzungen (so viel Sprit wie möglich) grundsätzlich schlecht vertragen.
Zwar enthält jeder Flugplan eine detaillierte Spritberechnung, die sowohl den gesetzlichen Vorgaben als auch der operationellen Bandbreite der Airline gerecht wird. Doch dabei handelt es sich lediglich um das absolute Sprit-Minimum mit den ausgewiesenen Werten für‘s Rollen (Taxi Fuel), den Reiseflug (Trip Fuel) sowie einen Ausweichplatz (Destination Alternate Fuel). Ergänzt werden diese Zahlen durch Reserven: eine operationelle Reserve (Contingency Fuel), die – abhängig vom errechneten Trip Fuel und der Verfügbarkeit eines zusätzlichen Ausweichplatzes (Enroute Alternate) – unterschiedlich berechnet wird, und eine eiserne (stille?) Reserve (Final Reserve), die bei der Landung noch in den Tanks sein muss, ansonsten droht dem Captain viel Schreibarbeit und ein Stelldichein beim Chefpiloten.
Letztlich liegt es in der Kompetenz der Besatzung, allfällig gewünschte Zuschläge (Extra Fuel) festzulegen. Hier beginnt eben Fuelmanship, eine Mischung aus individueller Fuelphilosophie und Airmanship (dem gesunden Menschenverstand des Aviators). Ich wage zu behaupten, dass bei analoger Ausgangslage von zehn Piloten mindestens deren acht verschiedene Spritlösungen vorschlagen. Dabei gilt es auch, strukturelle Flugzeulimiten zu beachten. Wer grosse Extramengen tankt läuft wegen des erhöhten Abfluggewichts in Gefahr, auf einer tieferen Reiseflughöhe (mit erhöhtem Spritverbrauch) fliegen zu müssen.
Nicht jede Airline gewährt ihren Piloten dieselben Freiheiten beim Fuel-Entscheid. Bei Singapore Airlines etwa bestimmen die Dispatcher über die mitzuführende Spritmenge. Und Etihad verlangt für jeden zusätzlich eingefüllten Liter eine schriftliche Begründung des Kapitäns, die auf dem Flugplan zu notieren ist. Die Swiss ist diesbezüglich (noch) toleranter und beschränkt sich darauf, die Besatzungen in regelmässigen Bulletins an die ökonomischen Konsequenzen zusätzlich mitgeschleppter Treibstoffmengen zu ermahnen.
Diese sind in der Tat nicht unwesentlich. Bleiben wir beim Flug nach Chicago. Will ich mir die Möglichkeit offenlassen, vor der Landung 30 Minuten in der Warteschlaufe zu kreisen, benötige ich alleine für den Transport dieser Spritmenge (Mehrgewicht) an die Destination 400kg Kerosin. Da läppern sich über die gesamte Flotte und über das gesamte Jahr einige Tonnen zusammen.
All diese Faktoren erhöhen den Druck auf die Piloten. Und jeder oder jede überlegt sich wohlweislich, ob es gefällige Gründe gibt, mehr Sprit als das Minimum zu tanken; eine längere Rollzeit aufgrund des Abflugverkehrs beispielsweise. Oder der Gebrauch der Enteisungsanlagen für Triebwerke und Flügel. Das Risiko, aufgrund starken Verkehrsaufkommens die geplante Flughöhe nicht zu erhalten (tiefer fliegen gleich erhöhter Verbrauch). Vielleicht stimmt uns die Windkarte skeptisch und wir rechnen mit stärkeren Gegenwinden. Möglicherweise erwarten wir schlechtes Wetter an der Destination: Schnee, Nebel, Stürme. Bei Verspätung wird schneller geflogen, auch das wird mit zusätzlichem Verbrauch bezahlt. Weiter stellt sich die Frage nach der Anzahl der verfügbaren Landebahnen. Manchmal sind Pisten wegen Bauarbeiten geschlossen oder es fällt eine Anflughilfe (ILS) aus und wir müssen mit tieferen Anflugfrequenzen rechnen.
All diese Elemente werden nicht von jedem Piloten gleich gewichtet. Fuelmanship ist gefragt, spaltet die Pilotengeister und bereitet dem einen oder anderen zeitweilig Kopfzerbrechen. Beim Auto überlegen wir nicht lange und füllen, ohne mit der Wimper zu zucken, den Tank bis zum Überschwappen. Nicht so in der Verkehrsfliegerei, wo Fuelmanship über Gewinn oder Verlust mitentscheidet. Kürzlich meinte ein Instruktor, dass er grundsätzlich nie Minimum Fuel tanken würde. Mindestens 200kg mehr, ergänzte er, um die Ungenauigkeiten der Fuelanzeige abzudecken. Hätte das ein Kollege bei Etihad geäussert, würde er von den Vorgesetzten mit zehn Peitschenhieben abgestraft. Nun gut, hier habe ich vielleicht ein bisschen übertrieben. Doch der (Fuel)Graben ist augenscheinlich.
Früher galt: „Fuel ist cheaper than nerves“. Diese Zeiten sind vorbei. Was den Piloten beruhigt, bereitet dem Manager schlaflose Nächte. Zuviel Sprit kann ein Pilot eigentlich nie haben. Mit einer Ausnahme vielleicht:
„The only time an aircraft has too much fuel on board is when it is on fire…”
Und für solche Fälle sind wir ja mit einem Feuerlöscher ausgerüstet!