Friday, December 30, 2011

Soll ich, oder soll ich nicht...

...mich einmischen in die angeregte Diskussion um die individuellen Wahrnehmung einzelner Berufsgruppen? Soll ich, oder soll ich nicht meinen Senf dazugeben wenn es darum geht, über vermeintliche Privilegien und Benachteiligungen von Pflegepersonal, Lehrern, Piloten oder Handwerkern zu argumentieren?

Worum geht es denn letztlich? Vielleicht, Stefan deutet es in seinem Kommentar an, liegt der Kern der Sache an kontinuierlich schlechter werdenden Rahmenbedingungen, unter denen unsere Wirtschaft leidet. Der Wind bläst eisig und lässt unsere Nasenspitzen gefrieren. Im Grunde genommen geht es uns allen ähnlich: Pflegepersonal, Lehrer, Handwerker, Piloten – die Rahmenbedingungen haben sich über die Jahre kontinuierlich verschlechtert. Zur Gewohnheit gewordene Pfründe sind dem Spardiktat einer globalisierten, schwer einschätzbaren Wirtschaft zum Opfer gefallen. Und die Aussichten sind nicht unbedingt rosig. Wir alle sind abhängig von anderen. Niemand, kein CEO, keine Organisation kann sich über die Verbindlichkeiten unserer Zeit hinwegsetzen. Zumindest nicht auf alle Ewigkeiten.
Gewisse Dinge werden sich nie ändern: So wird es immer Gewinner und Verlierer geben. Ebenso wie Neider und Gönner, oder Befürworter und Kritiker. Und wir alle müss(t)en uns ständig fragen, zu welcher dieser Gruppen wir denn nun gehören (wollen)?

Der Einblick in andere Berufswelten erweist sich meist als trügerisch und falsch. Ganz einfach, weil uns – als Aussenstehende – der direkte Zugang fehlt. Wir sind auf Drittmeinungen und Berichterstattungen angewiesen, können dabei nur schwerlich die Echtheit solcher Informationen beurteilen. Wenn jemand der Ansicht ist, der Autopilot würde all meine Probleme lösen, so soll er oder sie weiter so denken. Den Gegenbeweis anzutreten ist schwierig. Dieser Blog mag Teil des Versuchs sein, ich mache mir aber keine Illusionen. nff’s Link mit der detaillierten Schilderung der letzten Minuten von AF447 reisst einen Vorhang auf. Vermittelt Einblick in ein Cockpit, in dem vieles falsch gelaufen ist. Mit katastrophalem Ausgang, wie wir wissen.

Keine Kritik, vielmehr der Versuch, daraus zu lernen. Transparenz zu schaffen. Die Prioritäten zu justieren.

Soll ich also, oder soll ich nicht... mich in die Diskussion einschalten? Die Frage erübrigt sich. Ich stecke bereits mittendrin. 

Und sie wird, daran zweifle ich keine Sekunde, auch im kommenden Jahr weitergehen. Ich hoffe nur, dass der Versuch zu verstehen stärker ist, als die Versuchung zu kritisieren.

Friday, December 9, 2011

Heute, hier und jetzt

Während sich meine wackeren Kollegen in Europa durch schüttlige Herbststürme und tanzende Schneeflocken kämpfen, geniesse ich meine Auszeit auf dem Campus der UBC. Das Gelände ist weitläufig, muss es auch sein, denn 30'000 Studierende benötigen viel Platz.
Es ist bei weitem nicht so, dass ich jede freie Minute mit der Tochter verbringe. Wir sehen uns zwar täglich, dennoch bleibt mir viel Zeit für Gedankenspiele und Mussestunden.

Zwischendurch setze ich mich in einen Bus, lasse mich treiben und streife durch verschiedene Winkel der Stadt. Heute beispielsweise bummle ich durch den ältesten Stadtteil von Vancouver: durch Gastown. Ehrwürdige Backsteinbauten prägen das Quartier, in dem auch eines der berühmtesten Wahrzeichen steht: die Dampfuhr. Pubs wechseln sich ab mit Coffeeshops und Souvenirläden. Zwar ist der Himmel wolkenlos, doch in die Gassen von Gastown dringt kaum ein Sonnenstrahl.

Als „Expat im Exil“ fühle ich mich im Ausland immer ein bisschen wie ein Hecht, der dem Fischer vom Haken zurück ins Wasser gesprungen ist. Der längere Aufenthalt hier verstärkt dieses Gefühl. Die Spuren der letzten fünf Jahre, sie lassen sich nicht einfach abschütteln.
Ohne Abu Dhabi wäre Linda mit Sicherheit nicht in Vancouver gelandet. In diesem Fall würde ich wohl kaum meine Ferien hier verbringen. Manchmal, so scheint mir, liegt die Zeit im Wüstensand schon so weit zurück. Die Dinge ändern eben. Oft schneller als wir wünschen. In Phasen des Wechsels und der Veränderung suchen wir Halt im Beständigen. Ob es Zufall ist, dass ich just in dieser Woche auf folgende Zeilen gestossen bin, die mir nicht mehr aus dem Sinn wollen:

Ein Aufbruch ins Ungewisse ist immer gefährlich. Aber viel gefährlicher als jeder Aufbruch, ist die Rückkehr. Und die ist umso gefährlicher, je länger du fort warst. Was glaubst du zu finden? Das, was einmal da war? Vergiss es. Du wirst nur finden, was du verloren hast. Das, was irgendwann einmal dein Leben war.“

Unser Aufbruch nach Abu Dhabi barg gewisse Risiken. Die Rückkehr in die Schweiz jedoch erschien uns immer als Kinderspiel. Zurück in die Heimat, zurück in die vertraute Umgebung, in den Schoss der eigenen Kultur. Heute, mit der Erfahrung der vergangenen Monate, scheiden sich die Geister an folgender Frage: „Was glaubst du zu finden...?“  Wir glaubten, dass wir wüssten, doch die Erwartung stellt uns ab und zu ein Bein.

Ich ertappe mich beim Wunsch, den Moment einzufrieren. Das, was man verloren hat, muss nicht unbedingt besser sein als das, was ist. Doch manchmal schwingt eine Angst mit, dass einem das Hier und Jetzt entgleitet. Wir gehen mit überdimensionierten Rückspiegeln durchs Leben. Auch wenn wir Vergangenes idealisieren, holen wir, was geschehen ist, nicht in die Gegenwart zurück.  

Ich mache Rast in einem Pub. Bestelle ein Bier. Der Blick über den Bildschirm des Laptops offenbart eine Szenerie wie in einem Edgar Wallace Film: Zwei Gassen, die sich kreuzen. Altes Gemäuer, schwarze Pfosten - aufgereiht wie Stationen eines Lebens - verbunden mit schwerer Eisenkette. Verkehrsschilder, Abfalleimer, Zeitungskasten. Dazwischen hasten diffuse Gestalten über die Kopfsteinpflaster.
Ich beobachte durch sauber geputztes Fensterglas. Lasse den Gedanken freien Lauf. Heute, hier und jetzt!


Tuesday, December 6, 2011

Einer für alle - oder wie man seine Mitmenschen motiviert

Man könnte zur Vermutung neigen, dass, wäre Alexis Sorbas noch am Leben, die Griechen weniger Probleme hätten... 

...dann stünden vielleicht weniger dunkle Wolken über Europa, den USA, China, ja vielleicht über der ganzen Wirtschaftswelt. Und auch in der unabhängigen Schweiz schiene wieder eher die Sonne!

Und dies alles nur, weil Einer auf der Strasse zu tanzen beginnt...


Da könnte sich die Swiss doch geradezu ideal hervortun. Bei üblen Verspätungen oder miserablen Departure-Slots beispielsweise. Ich schlage vor, dass der Copi oder der Maitre de Cabine (in Notfällen kanns auch mal der Captain sein) in der Abflughalle ein Tänzchen anreisst. Ein Schottisch (klingt zwar auch nicht unbedingt sehr schweizerisch) statt Sirtaki. Ein bisschen Swissness (nicht zu verwechseln mit SwissMess) darfs schon sein. Die Teller können sie ruhig im Galley lassen, sonst wirds vielleicht am End zu teuer.

Mal sehen, ob sich unsere Fluggäste ebenfalls so leicht animieren lassen...

Monday, December 5, 2011

Ohne Socken


Da sitze ich nun also in meinem Hotelzimmer, im Herzen des riesigen Campus der UBC. Nach rund 65 Stunden in Vancouver finde ich mich allmählich zurecht; auf dem Gelände der Universität wie auch in der Stadt selber. Mein erster Eindruck? Es mag unglaublich klingen, doch ich werde einfach das Bild von diesen sockenlosen Kanadiern und –innen nicht los. Ihr müsst euch das einmal vorstellen: Die Maximaltemperaturen betragen 4 Grad, die Menschen sind eingepackt in dicke Jacken und Wollmützen, doch immer wieder begegne ich „Crazy Canucks“, die ihre blutten Füsse in Mokassins, Sneakers oder dünne Halbschuhe stecken. Bei der Studentenschaft kann ich dies ja noch verstehen. Ihr Hauptinteresse muss wohl dem Inhalt ihrer Rucksäcke gelten. Alles andere dürfte in diesen Tagen unwichtig sein. Die Vorlesungen sind zu Ende, ab Mittwoch laufen die Semesterprüfungen. Da werden entsprechende Prioritäten gesetzt und es reicht wohl nicht jeden Morgen für den Griff in die Sockenschublade.

Doch auch in der Stadt trotzen die Kanadier der frostigen Kälte. Es ist Dezember und während in der Schweiz das Gartenmobiliar in Kellern lagert oder in schützende Blachen gewickelt ist, schlürfen diese unerschrockenen Nordamerikaner ihr (immerhin) Heissgetränk im Freien. An kleinen lauschigen Gartentischen vor Starbucksfilialen und anderen Cafés. Ohne Heizstrahler notabene. Nicht etwa, wie man vermuten könnte, handelt es sich ausschliesslich um vertriebene RaucherInnen. Heute beispielsweise beobachtete ich zwei Frauen mit einem wehrlosen, im Buggy festgezurrten Kleinkind. Während die beiden Damen eifrig diskutierten und ihr Mundwerk warm hielten, wurden Nase und Ohren des Mädchens rot und röter. Ein Fall beinahe schon für den Tier- äh Kinderschutz.

A propos Kinder: Auch die eigene Tochter sehe ich ab und zu. Wenn sie denn nicht gerade vorgibt, zu lernen oder zu waschen. Wir treffen uns zum Kaffee, zum Essen oder zwischendurch begleitet sie mich ein Stück weit auf meinen Erkundungstrips durch die Stadt. Das gestrige NHL-Spiel zwischen den (Vancouver) Canucks und den (Calgary) Flames war beinahe schon Pflicht! Wir sassen mit 100 Dollar-Tickets in der obersten Reihe und durften uns dafür jederzeit zu spontanem Jubel erheben, ohne irgendwelche Hinterleute zu stören. Und als nach dem fünften Tor der Lokalmatadoren gar die Welle durch die Rogers Arena brandete, erwies sich die Vogelperspektive definitiv als Vorteil, und wir genossen das Spektakel, als sässen wir nicht in der letzten, sondern in der ersten Reihe.















Meine Nächte sind kurz und entsprechen nicht dem Rhythmus der Studenten. Während diese des Nachts in Büchern und Ordnern blättern, hüpfe ich zeitig in die Federn. Und erwache dann, wenn sich viele auf dem Campus erst zur Ruhe legen: zwischen 0330 und 6 Uhr, lange bevor die Sonne aufgeht. Noch hat sich mein Körper nicht vollständig an die lokale Zeitzone gewöhnt.

Zum Glück gibts Bücher, Laptops und Filme.  

Thursday, December 1, 2011

In vier Stunden

Das Gewissen ist rein. Im Einklang mit den restlichen 81kg meines Körpers. Mein Leumund kann warten. Ob in der Schweiz oder in Abu Dhabi. Meine Vergangenheit ist blütenweiss, mit wenigen grauen Flecken nur. Ausserdem habe ich sämtliche Bussen längst beglichen.

Im Tirol lasse ich, zusammen mit Frau und guten Freunden, für wenige Tage die Seele baumeln. Symbolisch dafür der Sessel auf dem Balkon vor unserem Zimmer. Leider verhindern die Temperaturen genüssliches Schaukeln. Dafür eben, baumelt die Seele.


Und während wir uns unter nächtlichem Himmel im wohlig warmen Solebad strecken, sich über unseren Köpfen der Halbmond räkelt, erläutert meine Frau die Konstellation von Sonne, Mond und Erde. Zumindest versucht sie es. Vor wenigen Stunden erst bei Alex Capus gelesen, strauchelt sie bei den Details.  

Später blättern wir nach, finden auf Seite 148 von Léon und Louise folgende Passage: „...dass bei Halbmond Erde, Mond und Sonne genau im rechten Winkel zueinander stehen, was bedeute, dass der Mond auf der Umlaufbahn um die Sonne sozusagen hinter der Erde herfahre, und zwar in einer mittleren Entfernung von dreihundertvierundachtzigtausend Kilometern und mit einer Geschwindigkeit von hunderttausend Kilometern pro Stunde. Das bedeutet, dass wir vor knapp vier Stunden dort waren und dass der Mond in vier Stunden hier sein wird.“

Der Mond auf unserer Spur – oder wir auf der seinigen. Wie auch immer. Meine Seele hat ausgebaumelt. Es bleiben 24 Stunden fürs Koffer aus- und wiedereinpacken. In knapp vier Stunden (was für ein Zufall!) geht mein Flieger nach San Francisco. Aber eigentlich bin ich unterwegs zur Tochter nach Vancouver.

Ich freue mich auf beide: die Stadt und die Tochter!