Tuesday, November 29, 2011

Der erste Versuch

Den ersten Anlauf habe ich genommen. Den ersten verzweifelten Versuch, meine Unbescholtenheit der letzten fünf Jahre zu belegen. Sehr weit bin ich allerdings nicht gekommen.

Auf dem Papier klingts einfach: Fingerabdrücke soll ich geben, diese amtlich beglaubigen lassen, an das UAE-Konsulat in Genf senden, wo die Zeichen meiner Hand legalisiert und anschliessend an mich retourniert werden. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass bei Angelegenheiten dieser Art Theorie und Praxis nicht selten weit auseinander klaffen. Also wende ich mich vorgängig, um Fehler zu vermeiden, an die emiratischen Behördenvertreter.

Die Telefonnummer ist schnell gefunden. Nach viermaligem Klingeln meldet sich eine weibliche Stimme: „Hotel Schweizerhof, Wächter, Guten Morgen“. (Ich nenne die Dame einfach mal Wächter, es ist dies, wie ihr euch denken könnt, nicht ihr richtiger Name).
Zugegeben, ich bin leicht verwirrt. Doch die Sache klärt sich schnell auf. Ich bin nicht beim Konsulat, sondern bei der UAE-Botschaft gelandet, die sich seit Kurzem in den Hallen des noblen Hotels eine Dépendance eingerichtet hat. Die publizierte Nummer gehört allerdings zur Hotel-Rezeption. Frau Wächter gibt mir eine Direktwahlnummer, allerdings geht dort niemand an den Apparat. Ist ja auch erst 0935h. Es folgen weitere Versuche im Zehnminutentakt. Beim vierten Anlauf klappts, die Frau parliert fliessend Deutsch und Arabisch und erklärt mir alsdann in der ersten der beiden Sprachen, dass das Amt leider nicht in der Lage sei, Beglaubigungen auszustellen. Ich möge mich doch an das Konsulat in Genf wenden.

Dort erhört man mich bereits beim zweiten Versuch. Nachdem ich mein Anliegen vorgebracht habe, werde ich weitergeleitet. Der Herr spricht Englisch, mit schwerem arabischem Akzent. Es kommen Heimwehgefühle auf. Sie werden noch stärker, als mir der Beamte mit monotoner Stimme das Prozedere herunterleiert und dabei betont, dass ich mich akkurat an die Vorgaben zu halten hätte.

Als nächstes wähle ich die Nummer der Stadtpolizei Winterthur und erkundige mich nach der Möglichkeit, Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Ein Gefühl schwingt mit, als streckte ich den kleinen Zeh in den Sumpf urbaner Kleinkriminalität. Meinem Arbeitgeber pressierts mit dem Leumundszügnis, also presto, presto: Ich erhalte einen Termin am nächsten Morgen um 10 Uhr.

Dann rufe ich die Gemeindeverwaltung an. Schliesslich müssen meine Fingerprints amtlich beglaubigt werden. Doch dafür leitet mich die nette Dame am anderen Ende der Leitung sogleich an die Notariatsstelle weiter.

Eine neue Nummer, ein neuer Anruf. Eine Beglaubigung meiner Fingerabdrücke sei kein Problem, allerdings müsste ich dann die Abdrücke bei ihnen nehmen lassen. Das macht Sinn. Einen Termin bräuchte ich nicht. „Kommen Sie einfach vorbei“.

Ich mache mich gleich auf den Weg. Allerdings erst, nachdem ich bei der Polizei zurückgerufen und die Abmachung des folgenden Morgens annulliert habe.
Auf dem Notariat herrscht Unsicherheit. Solls nur der Daumen sein, die ganze Hand oder gar sämtliche zehn Finger? Ob ich ein Formular des Konsulats mitgebracht hätte oder ob ein weisses Blatt genügen würde. Woher soll ich denn das wissen? Ich rufe Tim an, der für selbiges Verfahren diesen Sommer extra nach Abu Dhabi geflogen ist. Sämtliche Finger wärens bei ihm gewesen, meint er, und die Handballen dazu...!

In der Folge dekoriere ich ein jungfräulich weisses Blatt mit schwarzer Tinte. Vom kleinen Finger bis zum Daumen, linke Hand, rechte Hand. Anschliessend wasche ich mir die Hände. Meine Finger sind noch feucht als mich der Beamte heisst, das Ganze aus Symmetriegründen zu wiederholen. Ich tue artig wie gebeten, anschliessend strecke ich meine Hände ein zweites Mal unter den Wasserstrahl.
Noch am gleichen Nachmittag verschwinden sämtliche Dokumente und Kopien in einem Couvert, das ich vor Einbruch der Dunkelheit in den Briefkasten werfe. Phuhh – geschafft. Denkste....

Drei Tage später liegen die Unterlagen wieder auf meinem Bürotisch. Unbearbeitet, versehen jedoch mit einer Anweisung des UAE-Konsulats, die Legalisierung bei der Staatskanzlei des Kantons Zürich durchzuführen. Ich muss den Brief mehrmals lesen, bis ich die Message verstehe. Alles ein bisschen verklausuliert, durchsetzt mit Begriffen, die mir fremd sind und die mich verwirren.

Ich habe bereits bei der Staatskanzlei nachgefragt. Sollte kein Problem sein. Doch sie beglaubigen lediglich Fingerabdrücke, die bei der Kantonspolizei gemacht worden sind...

Es gibt kein Wenn und Aber. Zurück auf Feld 1 – so ein Ärger.

Jetzt gehts erst einmal in die Ferien...

Thursday, November 24, 2011

Vom Regen und von nackten Beinen

Der Regen trommelt auf die Frontscheibe. „Swiss 14E turn right Heading 260“. Der Copi, nennen wir ihn Roland, dreht am entsprechenden Knopf für die Bedienung des Autopiloten und der A330 legt sich in eine sanfte Rechtskurve. Um 1600 Uhr hätten wir landen sollen, jetzt, kurz bevor wir in den Endanflug auf die Piste 04R des JFK-Airport eindrehen, stehen die Zeiger bereits bei 16.35 Uhr. Wir fliegen durch Wolkenfetzen, die sich vor dem dunklen Grau des Abendhimmels in mattem Weiss abzeichnen. Auf 3000ft bläst der Wind noch immer mit 40 Knoten. Immer wieder schütteln uns Böen. Wir ziehen unbeirrt unsere Bahn

Roland hat erst gerade auf den A330 umgeschult. Er ist jung, hat 2004 seine Matur gemacht. Da war die Swissair bereits Geschichte. Sein Training ist noch nicht abgeschlossen. Hinter uns sitzt ein Instruktor und verfolgt aufmerksam das Geschehen. Dabei konzentriert er sich vor allem auf Roland, der seinen Line-Check absolviert und der seine Sache ausgezeichnet macht. Seit neun Stunden sind wir bereits in der Luft. Wenn sich die Jetstreams über dem Nordatlantik halten, werden wir morgen Nacht leichten Flügels nach Zürich sausen.

„Swiss 14E turn further right Heading 020, follow Localizer runway 04R and maintain 180kts till Ebbee“. Wir drehen weiter und armieren den Autopiloten. Drei Meilen vor uns tuckelt ein A320 einer amerikanischen Airline, hinter uns folgt, im gleichen Abstand, eine Maschine der EL AL. Wieder rütteln Böen am Flugzeug. Es wär, als würden sie uns nach langer Flugzeit mahnen, nicht einzuschlafen, wach und konzentriert zu bleiben, bis dass wir an unserem Parkplatz angelangt und die Triebwerke abgestellt sind.

Eigentlich wäre dies ja mein freier Tag. Ich könnte entspannt in unserer Wohnung sitzen und lesen, dösen, Radio hören, mich um Regen und Böen in New York foutieren. Am Donnerstag hätte ich nach Tokyo fliegen sollen. So wars ursprünglich vorgesehen. Franziska weilt noch immer auf Freundschaftsbesuch in Doha. Ich versuche, das familiäre Rest-Equilibrium aufrechtzuerhalten. Heute beispielsweise hatte ich die Absicht, für Nina und eine ihrer Freundinnen nach der Schule Mittagessen zu kochen. Ein bescheidenes, einfaches Mahl (mehr kann ich nicht) ohne Salat (meine Sauce...).

Roland hat den Flieger sauber auf der ILS stabilisiert. Aufgrund des starken Gegenwindes erhöht der Bordcomputer unsere Anfluggeschwindigkeit um satte 25 Knoten. Das wird sich später noch ändern. Nochmals durch einen Regensack, dann tauchen am Horizont die Pistenlichter auf. Es wird Rolands erste Landung in New York. Sein erster Besuch im „Big Apple“ überhaupt. Er schaltet den Autopiloten aus und ich starte meinen Scheibenwischer, der in der Folge mit regelmässigem Surren wie ein Irrer auf meiner Frontscheibe hin- und herfegt.

Der Anruf vom Crew Control kam unerwartet. Am Dienstagabend, ich sass gerade in einem Café und wartete auf Nina. Der Kollege am anderen Ende der Leitung wirkte etwas verloren. Es würden Kapitäne für drei A330-Flüge vom Mittwoch fehlen, erklärte er. Ob ich allenfalls gewillt wäre, auszuhelfen. Da sass ich Unschuldiger nun, und hatte unvermittelt die Wahl zwischen vier Flügen: Mumbai, Delhi oder New York am Mittwoch, oder mein ursprünglich geplanterTokyo vom Donnerstag. Zuerst wollte ich wissen, wie ein Wechsel meine anstehenden Ferien beeinflussen würde. „Kein Problem“, meinte der Suchende vom Crew Control. „Sie sind früher zurück und haben länger frei vor den Ferien“. Mit Speck fängt man Mäuse. Ich versuchte abzuwägen: Kinder, Ferien, Freitage, Fukushima, indische Kopfmassage oder Central Park – dann entschied ich mich spontan für New York.

Noch wenige Sekunden bis zur Landung. Roland kämpft mit den Elementen. Der Wind ändert in Richtung und Stärke und macht es ihm nicht einfach. Die Geschwindigkeit nimmt ab, die Triebwerke heulen, bevor sie wenig später wieder zurückspulen. Sanft setzen wir auf. Der dunkle Betonriemen schluckt uns wie ein hungriges Raubtier. Hinter uns nähert sich, bedrohlich nah, die EL AL-Maschine. Wir drehen auf den nächsten Rollweg, wechseln die Funkfrequenz und beginnen mit der „After landing“-Checkliste. Es war dies erst Rolands fünfte A330-Landung im Streckeneinsatz. Keiner der Passagiere hats bemerkt. Ich hätte es nicht besser gekonnt. In New York regnet es noch immer.

Morgen ist Thanksgiving. Alles ist bereit für die grosse Parade durch Manhattan. Sogar die Hunde werden kostümiert. Immerhin dürfen sie, anders als tausende von Truthänen, weiterleben. Ich mag es ihnen gönnen.

Und morgen wird dann auch die Sonne scheinen. Zum Glück. Sonst fröre der Feuerwehrmann noch an seine nackten Beine...



Sunday, November 20, 2011

Guten Morgen!

Bonjour! 
Ich muss das Thema wechseln. Auch wenn der Morgen noch früh und meine Denkmaschine träge ist. Doch die Buhlereien um Piloten und Lotsinnen (mit falschem Namen) ufern aus und lenken vom Thema ab. Also konzentrieren wir uns zukünftig wieder auf Headings und Altitudes und weniger auf wer mit wem, wann und wohin. Und überhaupt – lieber Dani Weder – wäre es längst an der Zeit, für die skyguide-Truppe wieder Observerflüge einzuführen. Ein Zeichen für die Sicherheit! Ich bin genauso dafür, wie ich gegen die beiden Flughafenvorlagen bin. Damit dies an dieser Stelle auch einmal gesagt ist!  

Good Morning! 
Es ist wirklich saumässig früh, fühlt sich an, wie ein Kurzstreckenpilot. Draussen herrscht tiefe Nacht, als der Handy-Wecker piepst. Ich muss die Tochter wecken. Montag. Schultag. Die Frau hat sich gestern – von Heim- und Fernweh geplagt – für einige Tage nach Dubai und Doha abgesetzt. Und während sie, in leichter Sommerkleidung, mit Freundinnen in lauschigen Gärten unter Palmen am Rotweinglas nippt, habe ich mich der Aufrechterhaltung von innerer Ruhe und Ordnung verpflichtet. Vor allem Letzteres wird bereits nach wenigen Stunden ein ernsthaftes Thema. Die Jungmannschaft verteilt zwar keine Legosteine mehr im Domizil, dafür pflastern Socken und T-Shirts die Laufstrecke zwischen ihren Zimmern und dem Bad. Und die aus Arabien eingeführte Katze, die bei den hiesigen Temperaturen nicht einmal mehr daran denkt, sich ins Freie zu begeben, kackt munter in ihre Indoor-Kiste und schaufelt anschliessend den halben Inhalt durchs Badezimmer. 

Sabah al Khair! 
Für die Krönung aber hat mein Arbeitgeber gesorgt! Damit sicher keine Langeweile aufkommt. Gewisse Stellen haben nämlich realisiert, dass ich, aufgrund gewisser EU-Normen beim Wiedereintritt in die Swiss den Nachweis unbescholtenen Bürgerverhaltens erbringen muss. Rückwirkend über die vergangenen fünf Jahre! Sooo einfach ist das allerdings nicht. Das vom UAE Ministry of Interior vorgegebene Verfahren verlangt Fingerabdrücke sowie eine Beglaubigung derselben durch das in Genf ansässige Konsulat. Wenns pressiert müsste ich einfach schnell nach Abu Dhabi fliegen und die Dokumente vor Ort einholen. So, wie das unser Sohn im August gemacht hat. Warum nur, wurde mir das nicht früher mitgeteilt? Jetzt verbringe ich meine Freitage damit, einen Polizeiposten zu suchen, der sich dazu hingibt, einem „Nicht-Kriminellen“ die Finger in die Tinte zu tunken. Und sooooooo lange Beine wie die Tatort-Kommisarin von gestern Abend werden die hierzulande wohl kaum haben...

Guten Morgen!  
Fortsetzung folgt, Inshallah... 

Friday, November 18, 2011

Zu dritt im Cockpit

Wenn Piloten in ihren Cockpits sitzen, Knöpfe drücken, Triebwerke starten, Checklisten abspulen, Navigationscomputer füttern und Funkmeldungen absetzen gibt es andere, die eben diese Meldungen entgegennehmen, verarbeiten, durchdenken, koordinieren und letztlich neue Anweisungen erteilen. Dabei gilt das Prinzip der bedingungslosen Unterwerfung. Das Sagen haben die Damen und Herren im Tower und in den Kontrollzentren. Uneingeschränkt. Die Flugzeugführer tun wie ihnen geheissen. Widerspruchslos. Und das ist in der Regel gut so.

Doch dahinter steckt mehr als simples Befehlen und Befolgen. Das Zusammenspiel zwischen Flugverkehrsleitstelle und Flugzeug garantiert mehrheitlich reibungslose Verkehrsflüsse auf Flughäfen und dicht beflogenen Luftstrassen, die übrigens schon lange nicht mehr nach Farben benannt werden. Mehr noch: Ziehen Piloten nicht nur egoistisch an ihren Steuerknüppeln sondern mit den Flugverkehrsleitern am gleichen Strick, wird die Effizienz gesteigert und die Umwelt geschont. Und erst noch viel Geld gespart.
Solches ist möglich, wenn gegenseitig transparent kommuniziert wird. Unnötige Stops beim Rollen beispielsweise kosten Geld. Um ein vollgetanktes und schwerbeladenes Langstreckenflugzeug mit vier Triebwerken aus dem Stand in Bewegung zu setzen, bedarf es einer gewissen Schubkraft und einer entsprechenden Spritmenge. Auch schlagen Direktanflüge günstiger zu Buche als endlose Warteschlaufen. Wissen die Piloten um die Anflugstaus, werden sie von den Lotsen frühzeitig informiert, kann allenfalls der Sinkflug verzögert oder frühzeitig die Geschwindigkeit abgebaut werden. Beides reduziert den Spritverbrauch.
Auf der anderen Seite sind die Lotsen bei ihrer Koordination der Verkehrsflüsse darauf angewiesen, dass die Flugzeugführer zugewiesene Geschwindigkeiten, Sinkraten und andere Restriktionen beachten. Oder dass sie, die Piloten, zur gegebenen Zeit bereit sind für den Triebwerkstart (was allerdings nicht immer nur in ihren Händen liegt...).

Vor langer Zeit – es war einmal – kamen die Damen und Herren Flugverkehrsleiter regelmässig in den Genuss sogenannter „Observerflüge“. Sie erhielten Gelegenheit, uns Piloten bei der Arbeit im Cockpit über die Schultern zu schauen. Dies half den Lotsen, pilotische Belange besser zu verstehen und die eigene Methodik zu erklären. Die Diskussionen förderten das gegenseitige Verständnis, schafften Transparenz. Bis eines üblen Tages der schöne Zauber dem Rotstift umtriebiger Finanzcontroller zum Opfer fiel.

Dadurch lassen sich nicht alle entmutigen. Wer will, findet Wege. Beispielsweise Chantal, nennen wir sie mal so, deren Anspruch an die eigene Professionalität auch vor einigen Franken, die sie in ein ID-Ticket investieren muss, nicht Halt macht. Und so begleitet sie uns dieser Tage nach Tel Aviv und zurück.
Bereits bei der Flugplanung, am (zumindest für einen Langstreckenpiloten) frühen Morgen, gesellt sich Chantal zu uns. Später schwingt sie sich routiniert auf den dritten Cockpitsitz – es ist schliesslich nicht ihr erstes Mal – und verfolgt interessiert unser Schaffen. Vor allem hört sie konzentriert mit. Auf den Zürcher Funkfrequenzen werden zahlreiche Grüsse ausgerichtet. Irgendwie klingen die Stimmen der Kolleginnen und Kollegen von der ATC vertrauter als sonst. Alles läuft wie am Schnürchen und auch bei der Rückkehr am Abend fädeln wir ungeniert und ohne Verzögerung in die Schlange der anfliegenden Maschinen ein.
Chantal schmunzelt. Wir Piloten geben uns Mühe, die Flughöhe der verbleibenen Distanz anzupassen, was ganz manierlich gelingt. Pünktlich parkieren (für die Leser aus dem Merkel-Land: parken) wir den A340 am Dock, setzen die Bremsen und stellen die Triebwerke ab. Wir sind uns näher gekommen; Chantal, der Copi und ich. Nicht unbedingt biologisch, zweifellos aber auf der beruflichen Ebene.

Wer auf eine Schlusspointe hofft, wird enttäuscht. Es gab keinen Haken. Keine randalierenden Passagiere, keine technischen Probleme, weder Donnersturm noch Schnee oder Nebel. Der Tag im Cockpit zu dritt war ein Erfolg. Erinnerungen an die guten alten "Jumbo-Flight Engineer"-Zeiten wurden geweckt. Wir haben ausgetauscht. Alles lief rund. Mit Ausnahme des Eishockeyspiels vielleicht, das ich nach der Landung besuchte. Wo der Sohn mitspielte und derart übel in die Bande gecheckt wurde, dass sich am folgenden Tag ein Besuch bei jenem Zahnarzt aufdrängte, der Notfalldienst verrichtete. Nach Röntgen, drei Spritzen und einer Stunde filigraner Dentalkunst war die Sache gegessen und der Frontzahn sah wieder ansprechend aus. A propos Essen: Auch Tim konnte nach Stunden des Hungerns wieder feste Nahrung zu sich nehmen.

So zumindest haben mir die Familienauguren berichtet. Denn ich war bereits auf dem Weg nach Delhi.

Sunday, November 13, 2011

Heulende Motoren

Heute sind sie gefahren in Abu Dhabi. Hautnah aufgezeichnet von unzähligen TV-Stationen. Arabischer Zauber unter wolkenlosem Himmel. Männer in Kandooras zwischen den uniformen Overalls der Mechaniker. Überall T-Shirts und Sonnenbrillen. Gebräunte Haut. Yachten in der Hafenanlage, Cüplis auf dem Deck. Und immer wieder Palmen, Palmen, Palmen. Über den Tribünen legt sich ein A340-600 der Etihad in eine flache Kurve. Ich habe die Stunden nie gezählt, die ich im Cockpit dieser Maschine verbracht habe. Wer wohl jetzt am Steuerknüppel sitzt? Bei zwei Namen bin ich mir ziemlich sicher...

Ob es Zufall ist, dass uns ausgerechnet heute eine Email aus Abu Dhabi erreicht, in der Freunde von einem Bootsausflug berichten? Das Wasser würde langsam „chilly“. Was heisst das schon? Vielleicht 26 Grad? Da tut sich der Zürisee schwer. Auch im Hochsommer.

Die Bilder aus den Emiraten lassen mich nicht los. Soeben von Boston zurückgekommen, sollte ich eigentlich ins Bett. Drei Stunden Schlaf wären kein Luxus. Doch ich kann mich nicht von der Mattscheibe lösen. Sauge das Gezeigte in mir auf, suche angestrengt bekannte Gesichter. In der Boxengasse halten Etihad-Flight Attendants Namenstafeln in die Höhe. Es wäre ja möglich...

Irgendwann schlafe ich ein. Das eintönige Heulen der Motoren paralisiert meine Sinne. Ach ja – natürlich wird auch autogefahren: Armer Vettel, glücklicher Hamilton. Vor einem Jahr begegneten wir ihm beim Nachtessen im Shangri-La. Ein Foto mit Linda liefert den Beweis. Jetzt lebt die Tochter in Vancouver und meine Wenigkeit döst in Winterthur auf dem Sofa.

Und in Abu Dhabi, da heulen die Motoren.

Saturday, November 12, 2011

11

11 ist die kleinste existierende Schnapszahl und die kleinste zweistellige Primzahl. Zerlegt man sie in ihre Ziffern und ordnet den beiden Einsen die Buchstaben des Alphabets zu, so erhält man AA. Die beiden Buchstaben gelten im Islam als heilig. Denn AA ist eine Abkürzung für „Allahu Akhbar“, was so viel heißt wie „Gott ist groß“. Für muslimische Gläubige ist die Elf also eine besonders religiöse Zahl.
Auch in der Bibel kommt der 11 eine spezielle Bedeutung zu. Es ist bekannt, dass Jesus von Nazareth zwölf Jünger hatte. Aber nur elf der 12 hielten ihrem Meister die gelobte Treue. Der Zwölfte, Judas, verriet Jesus für wenig Geld. Woraus man die These entwickeln könnte, dass elf die ideale Zahl für Treuebünde ist.
Die 11 bringt aber nicht nur Pfarrerherzen und Mathematikerseelen in Schwung. Erscheint sie doppelt auf den Kalenderblättern – als 11.11 – erlöst sie eingefleischte Fasnächtler vom langen Warten. Und taucht sie gar in heiliger Dreifaltigkeit auf, brechen viele Romantikerherzen. Standesämter und Kirchen gehen unter in der Flut heiratswilliger Paare.. 

Auf den nächsten 11.11.11 wird die Zeitschreibung lange warten müssen. Wer gepatzt hat (wobei auch immer), kann bestenfalls noch einmal am 12.12.12 Anlauf nehmen. Nachher brauchts viel Geduld und noch mehr Enkelkinder bis zum nächsten „Triple date“. Bis zum 01.01.(300)1 dauert es nämlich satte 988 Jahre...

Ah – etwas wollte ich noch anfügen: Ich habe gestern weder geheiratet, noch habe ich mir eine Fasnachtsmaske über den Kopf gestülpt, sondern bin artig, wie vom Arbeitgeber geheissen, nach Boston geflogen. Bei USA-Trips müssen auch Besatzungsmitglieder ein Zollformular ausfüllen. Wer die Amerikaner kennt, weiss um ihre Eigenheiten, beispielsweise bei der Datumsschreibung: Zuerst der Monat, dann erst kommt der Tag.
Das spielte gestern für einmal keine Rolle, es gab nicht viel zu überlegen: Der 11/11 bleibt der 11/11. Da machen auch die US-Boys und Girls keine Ausnahme.   

Tuesday, November 8, 2011

Am Tag danach


Ein vielversprechender Morgen. Stahlblau der Himmel. Zumindest jene Flecken, die ich zwischen den Wolkenkratzern ausmachen kann. Die Luft ist frisch aber nicht kratzig, die Temperatur kühl jedoch nicht frostig.

New York, Manhattan. 24 Stunden nach dem Marathon. Montagmorgen. Menschenmassen auf dem Weg ins Büro. Hupende Autos, heulende Sirenen. Auf einer Kreuzung regelt eine uniformierte Polizistin den Verkehr. Mit einer Trillerpfeife im Mund, die sie oft und gerne einsetzt, und mit weissen Handschuhen, derer sie sich immer wieder mal entledigt. Kommunikation ohne Worte. Die Mütze hat die Verkehrshüterin südamerikanischer Abstammung tief in die Stirn gezogen. Amüsiert beobachte ich ihr Treiben. Mit heftigem Winken, begleitet von kurzen Piffen, treibt sie die Autofahrer an. Dann hebt sie gebieterisch die rechte Hand, stoppt die, auf der 33rd Street heranbrausenden Wagen, dreht sich um 90 Grad und heisst jene, die auf dem Broadway warten an, ihre Fahrt fortzusetzen. Die New Yorker tun, wie ihnen geheissen. Ob im Auto oder zu Fuss. Geduldig lassen sie den Morgenverkehr und die pfeifende Polizistin über sich ergehn.
Doch es sind nicht nur Einheimische, die sich morgens um Acht auf der Strasse tummeln. Wie zu jeder Tages- und Jahreszeit bevölkern zahlreiche Touristen, und an diesem Morgen auffallend viele SportlerInnen die Innenstadt. Woran ich sie erkenne? Für einmal an der Art ihrer Fortbewegung. Oftmals schleppend, hinkend, einigen ist die Pein ins Gesicht geschrieben.

Gestern, als wir mit dem Bus vom Flughafen in die Stadt fuhren, entdeckten wir den Strom der LäuferInnen auf einer Brücke, die über die Autobahn führt. Später begegneten sie mir in den Strassenschluchten, auf dem Weg in ihre Hotelzimmer. Sie fröstelten, einige zitterten. Über die Schultern hatten sie eine wärmende Decke geschlagen, die in riesigen Lettern die erfolgreiche Absolvierung des New York Marathon belegte.

47000 Menschen quälten sich über die 42 Kilometer. Heute ist Montag und viele verlassen New York, um zurück in die Heimat zu fliegen. Auch unter unseren 226 Passagieren finden sich zahlreiche LäuferInnen, unter anderem der ehemalige Ski-Abfahrer Marco Büchel oder Markus Gygax, der Kommandant der Schweizer Luftwaffe. Zuletzt begegnet bin ich ihm im Januar 2010 in Abu Dhabi. Bei einem Raclette-Schmaus im Haus des Schweizer Botschafters. Wir sassen am selben Tisch. Heute sitzen wir im selben Flieger. Rollen auf dem JFK-Airport 25 Minuten bis zum Start und fliegen in sieben Stunden und 20 Minuten nach Zürich. Ich offeriere ihm für die Landung einen Sitz im Cockpit, das sich deutlich geräumiger präsentiert als die Pilotenkanzel eines Kampfjets. Pünktlich setzen wir auf, beinahe mit militärischer Präzision. Schade, dass sich Marathonläufe nicht in gleicher Manier wie ein Langstreckenflug planen lassen.

Schade auch, dass die sportliche Spitzenleistung mit Blasen und schmerzenden Muskeln honoriert wird. Blasen und schmerzende Muskeln, unter denen heute – am Tag danach – mit Sicherheit einige tausend Teilnehmerinnen des New York Marathon leiden.

Bei einigen könnte es etwas länger dauern...


Thursday, November 3, 2011

Der Ofen ist aus!

Diese Vorlage nehm ich an! Wenn auch unter erschwerten Bedingungen.

Denn während Kollege nff sein beeindruckendes Rist zum einen vor der stärkenden Bettruhe, zum anderen bei wärmendem Feuer und einem Glas Wein schoss, tue ich dies zur frühen Morgenstund. Zu einer Zeit, als die liebe Gattin gebannt hinter ihrem Mac sitzt, Kaffee trinkt und die Tagesnews studiert. Da blieb ihr bislang keine Zeit, den Ofen einzuheizen. Nein - der Ofen ist aus!

Ausserdem habe ich mich eben erst aus den Federn gekämpft. Bin noch nicht richtig wach. Nach der gestrigen Rückkehr von Boston (verbunden mit äusserst wenig Schlaf) empfand ich es wie immer als eine Wohltat, die ganze Nacht im eigenen Bett neue Kräfte tanken zu können.

Und noch ein kleines Detail zum Schluss: In Ermangelung einer passenden Unterlage konnte ich bei dieser spontan geschossenen Aufnahme meine Füsse nicht abstützen, was gehörig in die Bauchmuskeln fährt. Solches kann mir jedoch bei der Rückbildung meines, über die Jahre etwas verloren gegangenen Sixpack nur recht sein...

Wednesday, November 2, 2011

Premierenabend

Üblicherweise heben die Nordatlantik-Flüge der Swiss nach New York, Chicago, Miami, San Francisco, Los Angeles oder Montreal am Morgen oder zur Mittagszeit in Zürich ab. Die Ankunft am Zielort erfolgt am Nachmittag und erlaubt uns Besatzungsmitgliedern ein ordentliches Nachtessen oder, hie und da, den Besuch eines Theater- oder Eishockeyspektakels.

Schon wieder Eishockey, mögen einige Leser denken. Und schon wieder Starbucks, wird es anderen gleich durch den Kopf schiessen. Der erste Becher Skinny Vanilla Latte ist leer, auf einen zweiten habe ich heute Morgen keine Lust. Stattdessen hole ich mir einen Orangensaft. „No sugar added“ heisst es auf der Etikette. Gut so, das lässt (Kalorien)Raum für einen späteren Abstecher in die nahe gelegene Cheesecake Factory.

Boston bildet also die Ausnahme bei den Nordatlantikflügen der Swiss. Jene, welche die Regel bestätigt. Der späte Start um 17.25 Uhr stellt mein „Nordatlantik-Schema“ auf den Kopf. Es ist ungewohnt, um diese Zeit in westlicher Richtung über den Teich zu fliegen. Mir wird bewusst, dass mein Empfinden Ausdruck einer, über viele Berufsjahre erworbenen Konditionierung ist: Am Abend ruft der Ferne Osten, wer aufsteht geht nach New York posten. Oder so ähnlich...  

Beim Triebwerkstart gestern Abend war es bereits dunkel. Nach dem Einfahren der Fahrwerke tauchten wir in jene graue Suppe, die uns den lieben langen Tag die Sonne vorenthalten hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, dann lösten wir uns aus schummrigen Hochnebel-Fetzen und konnten uns andeutungsweise ausmalen, welch prächtige Herbststimmung wir Unterländer während des Tages verpasst hatten: Auf der linken Seite die Lichter der Stadt Zürich, im fernen Hintergrund die Silhouette der Berner Alpen und am Himmel die Sichel eines zunehmenden Mondes.

Den Nordatlantik traversierten wir bei völliger Dunkelheit. Auch bei der Landung in Boston war der Himmel über uns schwarz. Das Lokalgebräu und der Burger in der Hotelbar mundeten trotz der vorgerückten Stunde vorzüglich.

Knapp 24 Stunden später: Als wir des Abends am Flughafen eintreffen und unsere Koffer an einem der Swiss-Check-In Schalter deponieren, scheint der grosse Passagieransturm bereits vorbei. Vielleicht steht er auch erst bevor, auf jeden Fall sichten wir nur wenige der angesagten 200 Fluggäste. Dafür fällt mir an einem der Schalter eine Dame mit einem mächtigen, weissen Cellokasten auf. Sie ist in Begleitung eines älteren Herrn. Die beiden wirken verunsichert. Erstklasspassagiere, teilt man mir mit. Leider hätten sie es versäumt, für das Saiteninstrument einen zusätzlichen Sitz zu buchen. Nicht mein Problem, schiesst es mir zuerst durch den Kopf, schliesslich wende ich mich trotzdem an das ungleiche Paar. Der Herr erwidert freundlich, zuerst auf Englisch, dann in Deutsch mit osteuropäischem Akzent, dass sie bei Reisen in der First Class noch nie einen Extrasitz fürs Cello benötigt hätten. Die Dame schweigt, verlegen lächelnd.
Phuhh, da bin ich wohl der falsche Ansprechpartner. Fragte jemand nach den Sofortmassnahmen bei einem Triebwerkausfall, könnte ich helfen, die Vorschriften für Reisen mit Cellos sind mir allerdings weniger geläufig.
Doch die beiden Musiker – ich muss wohl annehmen, dass es sich um solche handelt – verhalten sich ausnehmend freundlich und verständnisvoll, was sich positiv auf meine Helferinstinkte auswirkt. Nach einem kurzen Gespräch mit der Kabinenchefin erläutere ich der Dame am Check-In unsere Bereitschaft zu einer flexiblen Problemlösung.

Das Cello landet letztlich in einer Garderobe, wo es verstaut und anständig gesichert wird. Kein zusätzlicher Aufwand, kein Ärger, keine unnötige Verzögerung für die beiden Musiker, die sich bei meiner Begrüssung in der First Class noch einmal gebührlich bedanken.
Später werden wir erfahren, dass es sich hier um den weltberühmten lettischen Violonisten Gidon Kremer sowie die junge litauische Cellistin Giedre Dirvanauskaite handelt. Noch vor wenigen Stunden haben die beiden in der Boston Symphony Hall brilliert, jetzt sind sie unterwegs nach Madrid (mit einem gebuchten Business-Class „Cellositz“ für den Anschlussflug).  

Kremer hat mit zahlreichen bedeutenden Orchestern und Dirigenten wie Leonard Bernstein, Herbert von Karajan, Lorin Mazel oder Zubin Mehta gespielt.

Mit meiner Wenigkeit ist er jedoch noch nie geflogen. Dieser Premierenabend scheint – trotz kleiner Obstruktionen – geglückt.