Thursday, September 29, 2011

Ach wie tut das weh!

Nein, keine Angst; ich bin nicht schon wieder angeschlagen! Gut, vielleicht ein bisschen auf der mentalen Ebene. Weil ich immer wieder mal spüre, dass der Abu Dhabi-Lack blättert. Dass meine Schuhe bei jedem Gang in die Stadt einige Sandkörner lassen. Kurz – dass Corniche und Palmenzauber immer mehr durch die Realitäten unseres neuen alten Lebens hier in der Schweiz aufgeweicht werden. Die Erinnerung, gestern noch sonnenbeschienener Alltag, wird zum Fantasiekonstrukt, bei dem es täglich schwieriger wird, Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden.

Gestern erhielt ich wieder eins aufs Dach, als ich den Volvo in der Werkstatt abholen wollte. Auf helvetische Standards getrimmt, abgasgetestet, von Beamten des Strassenverkehrsamtes kritisch beäugt. Letzteres zweimal sogar, diese Sonderschleife musste wohl einfach sein. Mein rollender Kumpel aus emiratischen Zeiten stand leblos auf dem Vorplatz. Mein erster Blick galt sofort dem neuen Nummernschild. Ou weia – da traf mich doch beinahe der Schlag: 733281. Mit dieser Zahl reihe ich mich ungezwungen ein unter 18-jährigen Neulenkern. Ein Greenhorn der Strasse, unverbraucht. Ein Newcomer, der es hoffentlich rechtzeitig schafft, die nächste Kurve zu kratzen.

Ach wie tut das weh...

Dafür durfte ich heute einen erlauchten Gast an den Nil fliegen: Es war kein geringerer als Sean Penn, der sich diesen Morgen – zusammen mit seiner jugendlichen Freundin – zu uns in die First Class setzte. Damit kann ich auch gleich sämtliche Rumours aus noch sämtlicheren Klatschheften bestätigen. Die Sitzpositionen der beiden während des Fluges waren unmissverständlich. Scarlett Johansson ist out, Madonna sowieso. Die Karten wurden wieder einmal neu gemischt.














vorher...















... nachher

Sunday, September 25, 2011

Erdnüsse

Nach Bombay in der Vorwoche folgt erneut ein Bombay-Flug. Eigentlich soll ich ja Mumbai schreiben, doch ich verfange mich immer wieder in der alten Namensgebung. Ausser bei den Passagieransagen, wo ich auf politische Korrektheit achte.

Die Inder machens einem diesbezüglich auch nicht einfach. Im Bestreben, sich von den einstigen Kolonialherren zu distanzieren, änderten sie vor 20 Jahren die Städtenamen: machten aus Cochin ein Kochi, verwandelten Trivandrum ins zungenbrecherische Thiruvananthapuram (nicht nur Vulkane tragen unaussprechliche Namen) und tauften Bangalore in Bengaluru um.

Heute soll ich also wieder nach Indien, Mumbai eben, düsen. Doch mir ist an diesem Morgen nicht so recht nach Fliegen zumute. In der Nacht bin ich schweissgebadet erwacht. Mit einem seltsamen Druck im Magen.

Es muss wohl an den Erdnüssen von gestern Abend liegen. Diese salzig fettigen Dinger, die ich mir haufenweise in den Mund geschoben und mit Pinot Grigio runtergespült habe. In einem Lokal in Bülach, verstohlen beobachtet von meiner Frau. Sie liess mich jedoch gewähren, war anderweitig beschäftigt. Ich hatte einfach Hunger, und konnte diesen Nüssen nicht widerstehen. Bald einmal war die Schale leer. Abgesehen von einigen Fettspritzern und etwas Salzkruste.

Jetzt verfluche ich mich. Es ist kurz vor Sieben. Auch nach der Dusche geht es nicht wesentlich besser. Ob ich mich krank melden soll? Ich fahre nun einmal nicht ins Büro, in die Praxis oder in die Werkstatt, wo ich bei anhaltender Übelkeit oder dem ersten Brechreiz rechtsumkehrt machen kann. Ich soll mich in ein Cockpit setzen, im Sessel festzurren und mindestens sieben Stunden mein Pilotenhandwerk verrichten. Ab ins Land der fettreichen und scharf gewürzten, von mir so heiss geliebten, Currysaucen.

Ungeachtet dieser Zweifel streife ich die Uniform über und mache mich auf den Weg. Auf den Morgenkaffee verzichte ich, ebenso auf sämtliche, während des Fluges, angebotenen Speisen. Heisser, stark gesüsster Tee und Cola halten mich einigermassen bei Laune. Der Copi messert und gabelt sich in der Zwischenzeit genüsslich durch einen Dreigänger. Ich mag es ihm gönnen. Schliesslich hat er sich nicht an den Erdnüssen vergriffen. Ich werde wohl in nächster Zeit ebenfalls die Finger davon lassen.

Sunday, September 18, 2011

Was ist hier falsch...?















Na - fällt euch auf diesem Foto denn gar nichts auf? Zugegeben, diese erste Frage ist - zumindest für Nicht Aviatiker - eine Knacknuss. Deshalb will ich euch auch gar nicht lange zappeln lassen: 160 Nautische Meilen vor Abu Dhabi, und immer noch im Reiseflug auf FL360. Nun gut, das ginge ja noch hin, diesen Abschwung würden wir locker schaffen. Doch die grüne Linie - der im Computer eingegebene Flugweg - will uns gar nicht landen lassen, führt einfach und ignorant an Abu Dhabi (OMAA) vorbei! Ein Bild, das mich befremdet. Ich habe es in dieser Art und Weise mindestens fünf Jahre nicht mehr gesehen.

Wir sind auf dem Rückflug von Bombay nach Zürich. Zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits eine Stunde und 53 Minuten in der Luft. Und ich gebeutelte Seele darf nicht runter, sondern muss noch weitere lange sechs Stunden und 34 Minuten ausharren. Muss weiterfliegen an eine Destination, wo das Thermometer bei 8° Celsius stockt. Dabei fröstelts mich im dunklen Cockpit und die Augen brannten schon beim Einziehen der Räder...


Auch das weiter unten angefügte Foto löst Stirnrunzeln aus. Was soll das? Vielleicht findet eine Antwort, wer beim Kollegen nff mitliest. Seit er sich unverschämterweise in die Ferien abgesetzt hat, veröffentlicht er mitunter verführerische Fotos in seinen Posts.

Ich wollte ein Zeichen setzen. Ein verzweifelter Gegenschlag der hart arbeitenden Pilotenschaft. Als dann allerdings der Cappuccino und der indische Cheesecake vor mir standen, hats für den Protest nicht mehr gereicht. Die Lust ging mit mir durch. Ähnlich wie bei DSK, nur anders.
So hats denn erst nach dem Verzehr fürs Foto gereicht. Wer Fantasie hat, kann die Verführung erahnen.
Ansonsten fliege ich am kommenden Freitag gleich noch einmal nach Bombay. Doppelt hält besser. Und wenns denn unbedingt sein muss, täte ich mich opfern, Kaffee und Käsekuchen noch einmal zu probieren. Natürlich mit Foto, dann aber VOR dem Mahl.

Sunday, September 11, 2011

Tiefer als sonst

Zurücklehnen und tief durchatmen. Entspannen. Loslassen. Nachdenken.

Endlich wieder flügge auf dem A330 und A340. Ich bin an dem Punkt angelangt, der über die vergangenen Monate Fokus meines Denkens und Handelns war. Ich bin resozialisiert. Das Training ist abgeschlossen, jetzt beginnt wieder der ganz normale Streckenalltag mit Nachtflügen, Zeitverschiebung und Klimawechsel. Der erste A340-Flug bringt mich nach Tokyo.

Wieder in der nationalen Airline des eigenen Landes beschäftigt, mit Besatzungsmitgliedern der eigenen Nationalität. Mehrheitlich zumindest.

Was bleibt sind Erinnerungen an die Jahre in Abu Dhabi. Meine Frau und ich teilen sie in einer Wohnung mit leeren Wänden, in der es nach wie vor noch viel einzurichten gilt. Bis heute habe ich exakt einen Vorhang, eine Lampe und ein Bild montiert. Der Rest wartet auf die Erlösung aus der stickigen Verpackung. Ich bin ein miserabler Handwerker. Bei uns hängen die Bilder hoch. Nicht wegen Hochstaplerei, sondern weil mir die perfekte horizontale Montage immer erst im dritten oder vierten Anlauf gelingt. Im Wissen um diese Schwäche beginne ich jeweils tief, und arbeite mich dann stufenweise höher. Nur so kann ich sicherstellen, dass vom Bild sämtliche tiefer liegenden Löcher kaschiert werden.

„Ich habe Heimweh nach Abu Dhabi! "

Erst gestern hat sie es wieder betont. Franziska, die soeben aus Vancouver Zurückgekehrte. Dabei bekundet sie Erstaunen über die Tatsache, dass ich – der sich lange gegen eine Rückkehr in die Heimat gewehrt hat – bereits wieder mit Freude und Begeisterung zu meinen Flügen antrete. Franziska braucht noch Zeit. Sie ist beileibe noch nicht in Winterthur angekommen sondern fühlt sich hin- und hergerissen zwischen der Vergangenheit in den Emiraten, der Tochter in Kanada und unserer Zukunft in der Schweiz.

Am Abend meldet sich Linda am Skype. Die Sondierung der Wäsche bereitet noch Mühe. Rot soll Rot und M soll M bleiben. Auch nach dem Hauptwaschgang!

Aus ihrem kleinen Studentenzimmer berichtet sie über erste Vorlesungen in prall gefüllten, riesigen Hörsäälen, über einen coolen Italienisch-Professor und über aufdringliche Jungs an Fraternity-Parties. Später stürmen kichernde Kolleginnen aus der selben Etage ins Zimmer und wir beenden unseren Wochenend-Chat.

Auch wenn ich meine Flüge im neuen Umfeld geniesse, denke ich ebenfalls oft zurück. Sehne mich nach dem ewigen Sommer und dem entspannten „Shorts, T-Shirt und Flip Flop“-Feeling. Ich vermisse Manakeesh vom Libanesen vis à vis und Shisharauch in lauen Abendstunden. Dafür freut es mich, wenn im Cockpit Schweizerdeutsch diskutiert wird oder wenn die Hostess vom First Class Galley einen anständigen (N)Espresso mit der offenen Sprüngli Pralinenschachtel in die Kommandozentrale schiebt. Auch macht es Spass, bereits nach sieben oder acht Stunden in JFK zu landen und nicht in Garden City, sondern in Manhattan zu logieren.

Wir geben und nehmen, wir tauschen Bekanntes und Geschätztes gegen Neues und manchmal Unangenehmes. Oder umgekehrt. Vertrautes vermittelt Sicherheit, Neues weckt Neugier und regt an. Wir wägen ab, versuchen unseren Verzicht zu optimieren. Wir müssen loslassen und unser Denken einer ständig ändernden Umgebung anpassen. Wechselnde Vorzeichen reissen uns aus der Lethargie des Alltags.

Sibirien ist riesig. Der Überflug dauert Stunden und der Blick auf endlose Wälder, durchbrochen von unzähligen Flussläufen, lässt meinen Gedanken und Träumereien freien Lauf.

Doch irgendwann, ich weiss es ganz genau, werde ich zu Hammer und Bohrmaschine greifen müssen. Und ich werde tief beginnen. Tiefer als sonst.

Damit unsere Bilder für einmal nicht unter der Decke kleben.

Wednesday, September 7, 2011

Von Winti nach Vancouver

Nach erneuten Sitzungen im Simulator – diesmal A340 – lässt der Lerndruck endlich und deutlich nach. Ich habe sämtliche Bücher und Sichtmäppli mit den losen Blättern in einer Ecke unseres Büros deponiert. Der dritte SIM-Check seit Juni dieses Jahres (einmal Etihad und zweimal Swiss) ist ausgestanden, die Streckeneinführung nach Kairo erfolgreich abgeschlossen. Viele Freitage bleiben zwar nicht. Ich bin, kaum losgelassen, nach Tokyo unterwegs. Vier Triebwerke und drei Piloten. Damit knüpfe ich nahtlos an die Zeit vor Etihad an...

Ich freue mich auf Sushi in Narita. Und ich weiss, dass ich mir beim Bier danach Zeit lassen kann. Schlaflose Nächte in Narita gehören zur Tages-, oder besser zur Nachtordnung im Nippon. Zeit und Raum für allerlei Gedankenspiele.

Vor dem Nachtessen erreicht mich ein Mail des woa-Verlags. Mein Buch „Blindflug Abu Dhabi“ liegt nach einer Verkaufswoche überraschenderweise bereits auf Platz 10 der Schweizer Sachbuch Bestsellerliste. Einladungen bei TeleZüri, TeleTop und Radio1 sowie Interviewanfragen bei diversen Zeitschriften. Es kommt Schwung ins Getriebe... Ob ich da wohl mithalten kann...?

Überhaupt sind meine Gedanken in eben diesen Tagen ganz woanders. Seit dem 24. August weilen Linda und Franziska in Kanada. Die Tochter versucht sich in Vancouver einzunisten. Die Mutter versucht ihr dabei zu helfen. Und wir versuchen von der Schweiz aus, die Ereignisse nach Möglichkeit mitzuverfolgen.

Mit der Skyperei ist das jedoch so eine Sache: bei neun Stunden Zeitverschiebung laufen unsere Computer selten synchron. Deshalb schreiben wir Mails und SMS oder nutzen bbm und WhatsApp. Was halt der moderne Mensch so wählt, um sich mit seinesgleichen zu unterhalten.

Der Abschied machte Mühe. Linda schien kurz vor ihrem Abflug die wahren Dimensionen und Konsequenzen dieses Abenteuers zu realisieren. Die letzten beiden Tage vor der Abreise glichen einer Fahrt auf der emotionalen Achterbahn. Das Kofferpacken fiel schwer, das Zuschauen ebenso. Franziska wird morgen zurückreisen. Sie hat Linda beim Möbel- und Bücherkauf unterstützt.

Mit drei Koffern, zwei IKEA-Taschen und einem Drucker hat die Tochter am vergangenen Samstag ihr Zimmer im Campus bezogen. Nach Orientation-Days und diversen (obligatorischen) Kennenlern-Events hat sich die erste Anspannung etwas gelegt. Linda schreibt:

„...der ganze erste jahrgang musste ins UBC-hockey stadion. das stadion war pumpe voll und die stimmung war HAMMER! tim und dir haette das richtig gefallen! jede faculty hatte eine farbe, arts war violet, die groesste faculty :) die faculties sind gegeneinander angetreten mit cheers und wer am lautesten ist etc. war wirklich toll. dann war mark donnelly dort, um die kanadische hymne zu singen. er singt meistens die kanadische hymne an den vancouver canucks home games...“














Vancouver ist in diesen Tagen näher an Winterthur gerückt. Zumindest für unsere Familie.

In zwei Tagen wird Franziska zurückfliegen. Dank Edelweiss kann sie auf mühsames Umsteigen verzichten und sollte am Donnerstag erholt in Zürich dem Flieger entsteigen. Das ist gut so. Selbigen Tags findet an Ninas Schule ein Elternabend statt. Und ich werde mich dann immer noch im Land des Lächelns ruhelos in der Schlafstatt wälzen. Mit Zeit für Gedankenspiele aller Art.