Zurücklehnen und tief durchatmen. Entspannen. Loslassen. Nachdenken.
Endlich wieder flügge auf dem A330 und A340. Ich bin an dem Punkt angelangt, der über die vergangenen Monate Fokus meines Denkens und Handelns war. Ich bin resozialisiert. Das Training ist abgeschlossen, jetzt beginnt wieder der ganz normale Streckenalltag mit Nachtflügen, Zeitverschiebung und Klimawechsel. Der erste A340-Flug bringt mich nach Tokyo.
Wieder in der nationalen Airline des eigenen Landes beschäftigt, mit Besatzungsmitgliedern der eigenen Nationalität. Mehrheitlich zumindest.
Was bleibt sind Erinnerungen an die Jahre in Abu Dhabi. Meine Frau und ich teilen sie in einer Wohnung mit leeren Wänden, in der es nach wie vor noch viel einzurichten gilt. Bis heute habe ich exakt einen Vorhang, eine Lampe und ein Bild montiert. Der Rest wartet auf die Erlösung aus der stickigen Verpackung. Ich bin ein miserabler Handwerker. Bei uns hängen die Bilder hoch. Nicht wegen Hochstaplerei, sondern weil mir die perfekte horizontale Montage immer erst im dritten oder vierten Anlauf gelingt. Im Wissen um diese Schwäche beginne ich jeweils tief, und arbeite mich dann stufenweise höher. Nur so kann ich sicherstellen, dass vom Bild sämtliche tiefer liegenden Löcher kaschiert werden.
„Ich habe Heimweh nach Abu Dhabi! "
Erst gestern hat sie es wieder betont. Franziska, die soeben aus Vancouver Zurückgekehrte. Dabei bekundet sie Erstaunen über die Tatsache, dass ich – der sich lange gegen eine Rückkehr in die Heimat gewehrt hat – bereits wieder mit Freude und Begeisterung zu meinen Flügen antrete. Franziska braucht noch Zeit. Sie ist beileibe noch nicht in Winterthur angekommen sondern fühlt sich hin- und hergerissen zwischen der Vergangenheit in den Emiraten, der Tochter in Kanada und unserer Zukunft in der Schweiz.Am Abend meldet sich Linda am Skype. Die Sondierung der Wäsche bereitet noch Mühe. Rot soll Rot und M soll M bleiben. Auch nach dem Hauptwaschgang!
Aus ihrem kleinen Studentenzimmer berichtet sie über erste Vorlesungen in prall gefüllten, riesigen Hörsäälen, über einen coolen Italienisch-Professor und über aufdringliche Jungs an Fraternity-Parties. Später stürmen kichernde Kolleginnen aus der selben Etage ins Zimmer und wir beenden unseren Wochenend-Chat.
Auch wenn ich meine Flüge im neuen Umfeld geniesse, denke ich ebenfalls oft zurück. Sehne mich nach dem ewigen Sommer und dem entspannten „Shorts, T-Shirt und Flip Flop“-Feeling. Ich vermisse Manakeesh vom Libanesen vis à vis und Shisharauch in lauen Abendstunden. Dafür freut es mich, wenn im Cockpit Schweizerdeutsch diskutiert wird oder wenn die Hostess vom First Class Galley einen anständigen (N)Espresso mit der offenen Sprüngli Pralinenschachtel in die Kommandozentrale schiebt. Auch macht es Spass, bereits nach sieben oder acht Stunden in JFK zu landen und nicht in Garden City, sondern in Manhattan zu logieren.
Wir geben und nehmen, wir tauschen Bekanntes und Geschätztes gegen Neues und manchmal Unangenehmes. Oder umgekehrt. Vertrautes vermittelt Sicherheit, Neues weckt Neugier und regt an. Wir wägen ab, versuchen unseren Verzicht zu optimieren. Wir müssen loslassen und unser Denken einer ständig ändernden Umgebung anpassen. Wechselnde Vorzeichen reissen uns aus der Lethargie des Alltags.
Sibirien ist riesig. Der Überflug dauert Stunden und der Blick auf endlose Wälder, durchbrochen von unzähligen Flussläufen, lässt meinen Gedanken und Träumereien freien Lauf.
Doch irgendwann, ich weiss es ganz genau, werde ich zu Hammer und Bohrmaschine greifen müssen. Und ich werde tief beginnen. Tiefer als sonst.
Damit unsere Bilder für einmal nicht unter der Decke kleben.