Ein Fliegerleben verläuft in Etappen. In weiten Schleifen, ähnlich wie jene, die wir immer mal wieder ungewollt vor Anflügen und Landungen auf verkehrsstarken Flughäfen dieser Welt drehen.
Natürlich fräsen auch Handwerker, Juristen, Bankdirektoren oder Ärzte nicht auf kurvenlosen Autobahnen durchs Leben. Und wie auf dem richtigen Highway gehts zwischendurch manchmal nicht ohne ein Pannendreieck.
Wir werden älter, wechseln die Arbeitsstelle oder den Wohnort und füllen den Lebensrucksack mit vielfältigen Erfahrungen. In der Fliegerei werden Übergänge in neue Abschnitte augenfällig geprägt, etwa durch Wechsel vom einen Flugzeugtypen auf den anderen. Durch Umschulungen, dank denen aus verschlafenen (Kurzstrecken-) Frühaufstehern innert weniger Wochen noch verschlafenere (Langstrecken-) Nachtflieger werden.
Auch mir ist es so ergangen: Nach wie vor in bester Erinnerung sind meine Swissair Anfangsjahre auf DC-9 und MD80. Unvergessen die anschliessende Phase als Jumbo-Copi, gefolgt von den ersten Kapitänserfahrungen auf dem Fokker F100. Dann wieder ein Wechsel auf den B747. Nach dessen Verkauf im Jahre 2001 machte ich erstmals Bekanntschaft mit einem Fluggerät aus dem Hause Airbus. Es folgten andere des gleichen Herstellers, bevor wir uns schliesslich mit Sack und Pack in die Wüste aufmachten.
„Hast du wirklich gelebt, hat deine Welt sich wirklich gedreht?“ fragt die deutsche Band Rosenstolz in einem ihrer aktuellen Lieder. Was mich angeht, so täte ich, ohne zu zögern, bejahen. Auch im Präsens wär der Liedtext nicht falsch, denn ich lebe ja noch immer, doch bis anhin, so scheint mir, drehte sich alles rasend schnell. Dies ist mir einmal mehr beim letzten Flug nach New York vor Augen geführt worden.
Ich entdecke die Kabinenchefin, nennen wir sie Jana, wie sie ihre Unterlagen ordnet. Sie tut dies an einem Tisch unweit des Planungsraums der Piloten. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, waren jedoch in meinem früheren Swiss(air)-Leben mehrmals zusammen unterwegs. Gleich bei der Begrüssung kommt Jana auf unseren letzten gemeinsamen Flug von 1999 zu sprechen. Ein Einsatz mit dem B747 wars, von Zürich nach Atlanta. Jana erinnert sich genau, denn wir mussten wegen eines kranken Passagiers eine Zwischenlandung einlegen. Ausgerechnet in Halifax. Nur ein Jahr nach dem Absturz von SR111. Allein beim Überflug über diese Gegend kribbelte es im Bauch.
Auch ich erinnere mich an diese aussergewöhnliche Rotation. Die erste Meldung kam mitten über dem Nordatlantik. Ein Passagier beklagte Blutungen aus der Speiseröhre. Anfänglich nur schwach. Er litt am Morbus Wilson und informierte die Kabinenbesatzung, dass bereits früher solche Blutungen aufgetreten wären.
Trotzdem hielt Jana, nachdem die Beschwerden nicht nachlassen wollten, nach einem Arzt unter den Passagieren Ausschau. Es meldeten sich gleich deren zwei. Wie sich herausstellte, war der eine bestens vertraut mit dieser Krankheit. Das beruhigte mich damals insofern, als dass die Wettermeldungen für die am nächsten bei unserer Route liegenden Plätze Gander und St Johns keineswegs berauschend waren. Eine tiefe Wolkendecke lag über der Insel Neufundland, und starke, böige Seitenwinde fegten über die Pisten.
Vorerst flogen wir weiter und liessen uns von der Kabinenbesatzung laufend über den Zustand des Patienten aufdatieren. Später besuchte uns der Arzt im Cockpit. Via Satellitenverbindung kontaktierten wir die behandelnde Klinik des Passagiers in Atlanta. Die Ärzte tauschten Daten aus, verglichen Blut-, Leber- und andere Werte. Dabei hielten sich, wen erstaunts, die amerikanischen Kollegen äusserst bedeckt. Ihre Empfehlung war klar: Land asap! Doch das sagt sich vom Boden aus immer sehr leicht. Im Wissen um die entstehenden Zusatzkosten und die Verzögerungen für die Passagiere taten wir uns diesbezüglich etwas schwerer.
Neufundland hatten wir passiert, wir näherten uns der Küste von Neuschottland. Die Kabinenbesatzung im Heck des Jumbos meldete sich wieder, die Blutungen des Patienten hatten zugenommen. Der Arzt verliess den Führerstand. Er wollte sich die Sache selber anschauen. Und eine Viertelstunde später wars dann auch für ihn klar: Landen – so rasch wie möglich!
Daraufhin ging alles sehr schnell. In einer weiten Rechtskurve drehten wir die Flugzeugnase Richtung Halifax und leiteteten den Sinkflug ein. Hinter uns war ein weiterer Swissair-Jumbo Richtung Nordamerika unterwegs. Im Cockpit sass kein Geringerer als der Flottenchef, der ein ziemlich flotter war. Ich meldete ihm unsere Absicht und bat, er möge die Informationen an die Einsatzleitstelle in Zürich weiterleiten. Es dauerte keine halbe Stunde und wir waren am Boden, wo uns die Ambulanz mit Blaulicht erwartete.
Während ich die Übergabe des kranken Passagiers ans medizinische Behandlungsteam begleitete, kümmerte sich der Flight Engineer – zu jener Zeit geschätzter Kollege im Cockpit, heute wegrationiert durch modernste Elektronik – um die Betankung des Flugzeuges. Der Copi telefonierte mit Zürich und organisierte die Unterlagen für den Weiterflug: Flugplan und Ladeblatt. Alles klappte wie am Schnürchen. Als wäre dieser Zwischenstopp von langer Hand geplant gewesen.
Nach einer Stunde donnerten wir bereits wieder über die Piste und nahmen die zweite Etappe Richtung Atlanta unter die Flügel. Es wurde ein langer Tag, dafür mundete das Bier danach ausgezeichnet. Nicht nur der erste Schluck!
Szenenwechsel. Beim heutigen Flug verdienen wir uns den Gerstensaft wesentlich einfacher. New York erreichen wir ohne die aufregenden Momente einer Zwischenlandung. Wir landen dort, wo es der Flugplan verlangt. Ohne Zusatzschleife. Das freut nicht nur die Besatzung, sondern auch die Passagiere und besonders die Kollegen von der Einsatzleitstelle. Denn – der nächste Ärger kommt bestimmt...
Interessanter Bericht, und wie immer grandios geschrieben. Wirklich beeindruckend, was Sie in Ihrer Pilotenkarriere schon alles geflogen sind, vom Oldtimer DC9 bis zu den Computerfliegern...
ReplyDeleteWas mich interessieren würde: Gibts eigentlich irgendwelche Präferenzen als Pilot, was man am liebsten fliegt, also sowas wie ein Lieblingsflugzeug? Oder nimmt man das einfach als gegeben hin, und betrachtet es einfach ganz unemotional als Arbeitsplatz?
LG Christoph
War vor zwei Tagen an deinem Arbeitsplatz vorne links eines SWISS Airbus 340 - während des Taufakts von Altdorf. Muss schon sagen: Du hast ein schönes Büro. Aber über den Wolken wärs noch viel schöner ;)
ReplyDelete@Christoph: Jeder Pilot hat Präferenzen, besonders, was die Destinationen betrifft. Die einen bevorzugen Flüge nach Nordamerika, andere fliegen lieber in den Fernen Osten oder nach Afrika. Das kann verschiedene Gründe haben. Unser elektronisches Wunschsystem erlaubt, in begrenztem Masse zumindest, Eingaben zu Einsatzzeiten und Destinationen. Allein, das Resultat deckt sich leider nicht immer mit den Wünschen. Auch das hat diverse Gründe.
ReplyDeleteWas die Flugzeugtypen anbelangt, so identifiziert man sich als Pilot in der Regel immer mit jenem Flugzeug, das man gerade fliegt. Das schliesst nicht aus, dass einem bestimmte Typen besonders begeistern. So bleibt wohl der B747-Classic jenes Flugzeug, das mich seinerzeit am meisten packte. Zwar fühle ich mich auf den Airbusmaschinen ausgesprochen wohl, doch die Faszination für den Flieger ist nicht dieselbe wie beim Jumbo.
@Yannick: Damit hätte ich deine Beobachtung eigentlich auch bereits kommentiert. Es ist wie du sagst: Wir haben ein fantastisches Büro. Jeder Arbeitstag ist irgendwann auch ein Sonnentag. Zumindest auf der Langstrecke.
Gruss
Hey Dide;-)
ReplyDeleteSuper Blog! Hat dich der Mut für eine Partie Squash verlassen?;-)
Melde dich doch mal wenn du Lust hast
Gruess
Dani
Hallo Dani,
ReplyDeletewo denkst du hin! Der Mut verlässt mich nur selten. Ich hab morgen Samstag, 1300h im Airgate einen Court gebucht und brauch noch einen Gegner...
Gruss
Dide
Das ist jetzt aber schade! Bin in der Feuerwehr und wir haben heute Hauptübung. Aber melde dich doch per Mail dann machen wir einen Termin aus;-) übrigens deine Chancen würden nicht schlecht stehen. 2 Jahre ohne Racket und ein wenig Übergewicht! Zeit zum dies zu ändern!Am Sonntag hätte ich Zeit!?
ReplyDelete...dann müssten wir den Court in Tel Aviv buchen...
ReplyDeleteWenn du mich auf dem Jump Seat mitnimmst......wobei meine inzrnationalen Squash Zeiten 18 Jahre her sind;-) melde dich doch wenn du zurück bist. OK?
ReplyDeleteSehr interessanter Beitrag, vielen dank dafür!
ReplyDeleteMich würde interessieren was sich zu den Zeiten von damals zu heute verändert hat, betreffend Fatigue.
Wie ist man früher mit diesem Thema umgegangen?
Ist der Arbeitsaufwand nun doch höher im zweimann Cockpit mit viel Automatisierung, oder war das dreimann Cockpit trotz Uhrenladen und viel mehr Schaltern am Ende doch ökonomisches Arbeiten für den Piloten? War Fatigue damals schon ein so großes Thema wie heute?
Gruß Okin
@Okin: Um auf die Frage zu antworten, will ich 20 Jahre zurückblenden. Zu jener Zeit flog man nicht direkt nach HongKong, sondern legte in Bombay einen Zwischenstopp ein. Ebenso auf dem Rückweg. Die Besatzungsmitglieder waren zwischen 7 und 14 Tagen unterwegs und hatten die Gelegenheit, sich in Etappen an die Zeitunterschiede zu gewöhnen.
ReplyDeleteHeute fliegen wir in 11 Stunden direkt nach HongKong, nach knapp zwei Tagen das Gleiche wieder zurück. Die innere Uhr taumelt förmlich im luftleeren Raum. Der Körper ist in der Lage, pro Tag 1.5 bis 2 Stunden umzustellen. Mehr nicht.
Die Anforderungen an die Besatzungen haben also geändert. Wichtig ist, dem Körper dann Ruhe und Schlaf zu gönnen, wenn er danach verlangt. Das kann dazu führen, dass ich mitten im Tag einen Powernap einlege. Oder am Morgen bis um 11h schlafe. Oder bis um 0300h hellwach vor dem Compi sitze.
Während des Fluges schalten wir ebenfalls Powernaps ein. Natürlich immer nur einer der beiden Piloten, und nie länger als 40 Minuten am Stück. Um eine Tiefschlafphase zu vermeiden.
Fatigue war wohl schon immer ein Thema. Zumindest seit es Langstreckenflüge gibt. Allein wegen der Zeitdifferenzen und wegen der vielen Nachtflüge. Der menschliche Körper ist ganz einfach nicht geschaffen für solche Stressoren und jedes Besatzungsmitglied - ob Cockpit oder Kabine - hat seine eigene Art, damit umzugehen.
Liebe Grüsse
Dieter