Sunday, April 22, 2012

Eppler's Bakery


Ein ganz gewöhnlicher Tag in der Innenstadt von San Francisco. Menschen jeden Alters und Geschlecht bummeln durch die Market Street. Die Sonne scheint, doch wie so oft sorgt ein ungastlicher Wind für nachhaltiges Frösteln.

Ein junger, gutaussehender Mann betritt ein Café. Er zögert, schaut sich neugierig um und wartet, bis sich die Chinesin hinter der Theke ihm zuwendet.

Mann: Nice place. Do I get a discount if I have the same name...?

Lady: …what do you mean? What name…?

Mann: The same name as your bakery. My name is Eppler!
Zur Bestätigung zückt er seinen Fahrausweis aus dem Geldsäckel und zeigt ihn der Dame.

Lady: (grinsend) ...oh, now I understand. Your family name is Eppler.
Sie dreht sich um und tauscht mit ihrem Kollegen an der Kaffeemaschine einige Worte in Chinesisch.

Mann: (ebenfalls grinsend) Exactly, I might actually be the owner of the place...

Lady: You will get a discount on your birthday!

Mann: But I won’t be in town that day. I live in Europe. In Switzerland.

Lady: Ok, but I can not give you discount now.

Mann: Sure...?

Lady: Yes!

Mann: Too bad. Whatever - I’ll still have a Caffe Latte and a Cannoli.

Die Lady chinesischer Abstammung schiebt dem Schweizer mit deutschem Namen im amerikanischen Kaffeehaus lächelnd den Kaffee und die italienische Schleckerei über den Tresen. 
Er bezahlt, ohne zu murren, den vollen Preis.  
 
Selbstverständlich Cash. What else.

Thursday, April 19, 2012

Än schöne Flug!

Begegnungen im Ops, dem Crewcenter am Flughafen Zürich, sind in der Regel kurz. Die einen hasten zum Briefing, andere packen nach langem Nachtflug ihre sieben Sachen zusammen und wollen möglichst schnell nach Hause ins Bett. Piloten und Cabincrew tratschen beim Einchecken an den Computer-Terminals, beim Kaffeeautomaten, in der Raucherkammer, den engen Gängen der Garderobe – nach Geschlechtern getrennt - oder in einer der zahlreichen Toiletten. Auch das gibts. Zeit für lange Gespräche bleibt kaum.

„Wohär chunsch?“

Frustrierend, wenn diese Frage vor einem Flug gestellt wird. Sehe ich wirklich dermassen abgespannt aus? Ein „Wohäre gaasch?“ wäre passender.

Wer gelandet ist hat meistens mehr Zeit, als wer geht. Doch „auf dem Sprung“ sind sie alle. Uniformen werden gegen Zivilklamotten getauscht, frische Hemden aus dem Wäschefach in übervolle Koffer gestopft. Schnell noch einen Blick in den Spiegel und in die Mailbox – nicht die elektronische – dann gehts weiter. Nicht alle haben Zeit für spontane Begegnungen. „Sorry, kei Zyt, muess is Briefing“, und husch, ist sie oder er um die Ecke verschwunden!

„Än schöne Flug!“

Immer wieder wünschen wir sie uns, die schönen Flüge. Was aber meinen wir denn überhaupt damit? Ich grüble, was wohl hinter dieser, im Ops so oft gehörten, Floskel steckt. Schliesslich sind wir ja keine Ferienreisenden, die während der nächsten Stunden in einer der drei Swiss-Klassen (am liebsten natürlich der ersten...) hinflatschen und die Beine hoch lagern dürfen. Bestenfalls wartet irgendwann die harte Pritsche im engen Crewbunk. Was also,  bitte schön, soll dieses „Än schöne Flug“ für hart arbeitende Besatzungsmitglieder....?

Wann überhaupt ist ein Flug ein schöner Flug? Was ist ausschlaggebend? Die Anzahl der Cockpitbesuche weiblicher Flight Attendants? Die Menge der gereichten Espressi? Spielt die Anzahl der Passagiere eine Rolle? Sind Flugroute, Menge der zu umfliegenden Gewittertürme, das Alter der Flugmaschine, die nette Stimme am Funk oder etwa die Tageszeit von Bedeutung? Letztere vielleicht, denn Flüge am Tag offenbaren mitunter fantastisch schöne Blicke auf die unter uns vorbeiziehende Landschaft. Allerdings ist auch ein glitzernder Sternenhimmel nicht zu verachten. Mit der Möglichkeit, beim Entdecken einer Sternschnuppe den einen oder anderen stillen Herzenswunsch ins All zu schicken.  
Wie schön macht Pünktlichkeit? Mag sein, dass schön gar nicht unbedingt schön sein muss. Vielleicht würden Begriffe wie kurz, schnell, sicher, problemlos oder unfallfrei wesentlich besser passen.

Vielleicht aber verwenden wir Floskeln, insbesondere die hier hinterfragte, ganz einfach auch aus Verlegenheit. Weil ein einfaches „Tschüss“ nicht genügt. Zu wenig, zu schroff. Dabei wäre doch weniger manchmal mehr. Oder ist es simple Gewohnheit, von der wir uns nicht lösen können. Die Frage stellt sich nicht nur in der Fliegerei. Gefloskelt wird überall und jederzeit. Wir floskeln uns durchs Leben, als hätten wir seit unserer Geburt nie etwas anderes gemacht: Bis bald, än Guete, viel Vergnüege, schlaf guet, träum süess – oder die Krönung aller Floskeln: Freut mi! 
Immer dann, wenn wir einer unbekannten Person zum ersten Mal die Hand reichen. Mit Verlaub, wars denn immer ein so ungetrübtes Vergnügen...?

Jetzt wirds heikel. Und überhaupt: zuviel der Fragen. 

Deshalb verabschiede ich mich erst einmal in die Ferien. Dahin, von wo ich gestern gekommen bin: Nach Kalifornien. Fantasielos, ich weiss. Wir freuen uns trotzdem. Die Facebook-Accounts der Kinder belegen es.
Zuerst mit dem Flieger – än schöne Flug - dann mit dem Auto – ä gueti Fahrt. Denn „ä schöni Fahrt“ ist eher unüblich. Obwohl, in Anbetracht der oben angestellten Überlegungen, wärs politisch und ethisch ebenfalls korrekt. Man könnte es gelten lassen. Wie das Siegtor der Zürcher zwei Sekunden vor Spielschluss.

Wie auch immer – schöne Ferien und bis bald!

Monday, April 16, 2012

Die grosse Schlacht am Samstagabend

Ein Expat im Exil, der bin ich ja. Im Exil, das in diesem Fall identisch ist mit meiner Heimat. Einer Heimat, mit historischen Helden, deren Popularität weit über unsere Landesgrenzen strahlt und mitunter gar den italienischen Komponisten Gioacchino Rossini bei seinem Schaffen inspiriert hat. Einer Heimat aber auch, mit sportlichen Highlights, zu denen in diesen Tagen und Wochen die aktuelle Playoff-Finalserie im Eishockey gehört.

Am Samstagabend toben die Schlachten. Gleich an zwei Schauplätzen stehen sich Helden und Krieger gegenüber. Im Opernhaus schmettert Rossinis Guillaume Tell auf holzigen Brettern seine Arien, und im nur wenige Kilometer entfernten Hallenstadion kurven die Mannen des ZSC und des SCB filigran übers Glatteis.
Franziska und ich haben unseren Opernbesuch mit Freunden von langer Hand geplant. In Anlehnung an meine Frei-Eingaben im Swiss-Wunschsystem und in Unkenntnis der Entwicklung der Playoff Finalserie. Aus diesem Grund sitze ich an diesem Wochenende eben nicht in lockerer Freizeitkleidung in „der Halle“, sondern in Anzug und Krawatte auf einem mit Samt bezogenen Holzgestühl einer Parkett-Loge des Opernhauses. In freudiger Erwartung zwar auf den Apfelschuss mit Paukenschlag, doch so ganz bin ich doch nicht bei der Sache.

Vorerst reisst mich die Ouvertüre in ihren totalen Bann. Die pompöse Eröffnung des Musikspektakes, szenisch kühn untermalt mit einem Bühnenbild aus heutiger Zeit, fährt unter die Haut. Die flinken Streicher, das schmetternde Blech und die donnernden Timpani lassen mich erschaudern. Im Hallenstadion wird derweil vor dem Puckeinwurf die Landeshymne intoniert. Auch nicht schlecht. Anders als im Opernhaus erheben sich die Zuschauer, schwenken ihre Fahnen und singen mit. Ein Umstand, der im noblen Musiksaal eher weniger geschätzt würde.
Beide Schlachten nehmen also, nach wuchtiger Eröffnung, ihren Lauf. Aug in Aug mit Tell ertappe ich mich alsbald dabei, wie die Konzentration aufs Musische nachlässt. Kaum haben sie den alten Melchthal um die Ecke gebracht, plagt mich die bange Frage, wer denn wohl ennet des Zürichbergs den besseren Start erwischt haben möge.
Die Arien lullen mich ein, ebenso das sanfte Säuseln der Streicher. Auf der Bühne sticht mir eine Toblerone-Werbung ins Auge, die Chöre holen Anlauf. Ob der Puck wohl schon ein erstes Mal im (Berner) Netz gezappelt hat...? Es dauert noch viele lange Takte bis ich vernehme, dass im Hallenstadion die Löwen innert weniger Minuten mit einer Tor-Triplette in Führung gegangen sind.
Nach zwei Akten gehts im Opernhaus in die Pause. Nicht ganz fair: Nur einmal pinkeln bei vier Akten. Beim Hockey werden bei lediglich drei Dritteln zwei Pausen geboten. Statt Bratwurst und Bier gönnt man sich im Opernhaus eher ein Cüpli, allenfalls mit Käseküchlein. Beim Gedränge vor der Theke allerdings kann ich keinen wesentlichen Unterschied zur Eishalle ausmachen. Allenfalls beim Bezahlen. Die Nötli sind nicht ganz die gleichen...

Auf mein Handy erhalte ich weiter Angaben zum Verlauf der Schlacht auf dem Eis. Dann startet für uns bereits der dritte Akt. Die Spannung steigt, denn auf dem Dorfplatz duellieren sich Tell und Gessler mit melodiösen Wortgefechten, allerdings mit minimem Körpereinsatz. Derweil die Berner mit Plüss und Rüthemann verzweifelt versuchen, die Zürcher Defensive zu durchbrechen. Statt des Gesangs behelfen sie sich dabei ihrer Kufen und Stöcke, raspeln der Bande entlang und müssen dabei den einen oder anderen kernigen Check einstecken.
Auch beim Tell spitzen sich die Ereignisse zu. Der Volksheld fuchtelt bedrohlich mit seiner feuerroten Armbrust, bevor er sie schliesslich unter den Arm klemmt und mit dem ersten Pfeil den Apfel auf des Töchterleins Kopf löchert. Richtig gelesen; die Inszenierung will modernen Ansprüchen genügen und macht aus dem Walterli ganz einfach eine Jemmy.
Die Schlachten und Angriffe hüben und drüben treiben mich beinahe in den Wahnsinn und es ist nicht nur die Hitze und der unbequeme Stuhl, die mich hin- und herrutschen lassen.

Während im Hallenstadion das letzte Drittel läuft, gehts im Opernhaus in die Overtime. Noch immer befindet sich der arme Tell in Gesslers Händen und nur dank eines vierten Akts gelingt dem Helden die Flucht. Ein begeisterndes Finale setzt dem Ringen um Freiheit und Unabhängigkeit nach dreieinhalbstündigem, erbittertem Kampf ein Ende. Als der Vorhang fällt und der Applaus losbrandet, auferstehen die Toten und alle freuen sich, Hand in Hand. Und auch im Hallenstadion haben die Krieger ihre Waffen längst abgelegt. Mit einem kleinen Unterschied allerdings: Die Tellengeschichte ist abgeschlossen. Ausgestanden. Anders bei den Kämpfern auf dem Eis. Eine weitere Schlacht ist notwendig, und es muss sich erst weisen, wer am Dienstagabend in Bern die Trophäe in die Höhe stemmen darf.

Auch dieses Gemetzel werde ich verpassen. Denn zu dieser Stunde sitze ich bereits wieder in einem Starbucks in San Francisco. Und dort kümmern sich die Menschen weder um den ZSC noch um den SCB. 
Und der Willhelm Tell ist ihnen erst recht egal...   

Thursday, April 12, 2012

Nachtrag zu den Generationen

Von den Generationen hab ich im letzten Post geschrieben. Wie sie, sanft und über lange Zeit kaum spürbar, wechseln. Damit einher geht die Art und Weise, wie alt und jung mit den Erzeugnissen der modernen Technik zugange kommt. Nicht allen ist auf Anhieb klar, wofür Tablets und Apps verwendet werden können.

Ein Müsterchen gefällig? Bitte schön...   



Bin als puritanischer Windows-User unheimlich gespannt, wie widerstandsfähig diese iPads im Hausgebrauch sind...  

Tuesday, April 10, 2012

Zeiträder

Die Nester sind geplündert. Die Eier getütscht und gegessen. Mit Ausnahme jener, die der Grossvater, in Anlehnung an verflossene Abu Dhabi-Zeiten, liebevoll mit Arabischen Elementen bemalt hat. „Zu schade zum Essen“, sind sich alle einig.  


Tatort am Sonntagabend, ausnahmsweise mit einer Fortsetzung am Ostermontag. Diese verpasse ich leider, ebenso wie die vierte Begegnung der Eishockey-Titanen von Zürich und Bern. Meine Osterfreitage dauern lediglich bis Sonntag. Am Montag tue ich das, worum mich so viele beneiden: Ich gehe fliegen.
Für den Krimi gibts Mediatheken, für die Sportresultate Söhne, Dispatcher und gute Feen, die mich auf dem Laufenden halten. Kein Grund zur Klage also.

Die Gattin – ebenfalls eine gute Fee (die Beste!) – fährt mich am Vormittag an den Flughafen. Im Vorfeld der Feiertage wurden übervolle Parkhäuser angedroht. Ein Ärgernis. Also lasse ich mich chauffieren. In weiser Voraussicht.
Nach Chicago soll’s heute gehen. Frisch geduscht und uniform gewandet, den Koffer ordentlich gepackt, was um diese Jahreszeit eine knifflige Angelegenheit ist: bläst der Wind noch Schneeflocken durch die Strassen oder lassen frühlingshafte Sonnenstrahlen bereits erste Knospen spriessen? Warm oder kalt, feucht oder trocken, über- oder unternull? Am besten ich packe ein bisschen Winter und Frühling in den Koffer. Bringt übrigens den Vorteil, dass weniger Platz für unnütze Einkäufe bleibt. So gerate ich gar nicht erst in Versuchung.

Kaum habe ich das Ops betreten, begegne ich jenem Kollegen, der Toni, mich und unsere Frauen einst, im Mai 2006, auf dem letzten Flug vor der Abreise nach Abu Dhabi begleitete. Liegt diese Rotation nach Los Angeles wirklich schon sechs Jahre zurück? Wo ist die Zeit nur geblieben...?
Aus dem damaligen Copi ist ein strammer Kapitän im Nebenamt geworden. Hauptsächlich wandelt der Kollege nämlich in der Wandelhalle des Bundeshauses. Als Politiker und Nationalrat kümmert er sich um die Beschaffung von Kampfflugzeugen oder um schwindende Geheimnisse unserer Banken. Da kann man eigentlich nur verlieren. Er grinst trotzdem und streckt mir die Hand entgegen. Lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Der letzte Handshake, er muss vor sechs Jahren gewesen sein. Ob ich eines Tages vielleicht angeben kann, mit einem Bundesrat als Copi an meiner Seite nach L.A geflogen zu sein...?

In der Garderobe schnappe ich mir Hut und Jacket aus dem Kasten, dann logge ich am Computerterminal ein. Das System quittiert mit „You are successfully checked in“. Auf dem Weg zur Kaffeemaschine bleibe ich bei drei fachsimpelnden Kollegen hängen. Auch sie sind vor langer Zeit aus dem Copi-Dornröschenschlaf erwacht. Heute wirken sie als Fluglehrer, Cheffluglehrer oder Chief Examiner der Swiss. Mit zwei von ihnen war ich vor Jahren unterwegs. Sie sassen artig zu meiner Rechten und taten wie geheissen. Der dritte war Fliegerschüler, als ich den Leutnant abverdiente. Allesamt hoffnungsvolle Jungpiloten mit schlummernden Ambitionen. Die Zeit schraubt an vielen Rädern. An grossen wie an kleinen. Macht junge Krieger zu grossen Helden, und Grünschnäbel zu alten Hasen.  

Die Generationen wechseln sanft und über lange Zeit kaum spürbar. Bis uns eines Tages die Erkenntnis wachrüttelt, dem über Jahre verinnerlichten Lebensbild entwachsen zu sein. Ähnlich wie bei einem Anflug unter turbulenten Wetterbedingungen, sind Korrekturen gefragt. Sonst droht die Übung zu scheitern.
Sprösslinge von Kollegen aus der Fliegerschule haben sich mittlerweile in den Cockpits sämtlicher Airbustypen eingenistet. Eine junge Garde mit ehrgeizigen Visionen. Viele Copiloten von gemeinsamen Flügen aus früheren Zeiten beginnen im Verlauf der kommenden Monate ihre Kapitänsausbildung. Und bald schon werden auf dem rechten Sitz mehrheitlich Kollegen wirken, deren Ideale näher bei jenen meiner Kinder liegen als bei den meinigen. Dies alles tut der Freude an der Fliegerei jedoch keinen Abbruch. Das Teamwork im Cockpit verliert nichts von seiner Qualität. Im Gegenteil – immer mehr geraten die alten Leiden in den Hintergrund und es beginnt sich eine wohltuende Aufbruchstimmung breitzumachen.

Und zu guter Letzt begegne ich bei meiner Arbeit ab und an auch dem eigenen Sohn. Heute beispielsweise ist er am Gate für die Abfertigung unseres Chicago-Fluges zuständig. Ich gehe hoch zum Schalter und muss schmunzeln, als ich Tim in seiner Uniform hinter der Computer-Tastatur sitzen sehe. Er diskutiert mit Passagieren, drückt Tasten, kontrolliert den Bildschirm. Die Economy ist überbucht. Dennoch laufen die Vorbereitungen rund. Am Schluss finden alle in der langen Röhre Platz und wir werden pünktlich vom Traktor zurückgestossen.
Irgendwann, über der Südspitze Grönlands, wir geniessen gerade eine traumhafte Sicht auf Eis und Schnee, erhalten wir vom Dispatch in Zürich die Meldung, dass die Berner Bären die Zürcher Löwen besiegt haben. So denn halt. Chicago rückt langsam näher. Noch rund fünf Stunden. Die Zeiten ändern, politische Grenzen verschieben sich, doch Städte werden darob nicht verrückt. Und das ist gut so. Zumindest für uns Piloten.  




 Südspitze Grönlands aus 36000 Fuss

Saturday, April 7, 2012

One moment in time




Das Herz flattert, die Blase drückt. 
Instinkt, Gespür, Eingebung – ich weiss es nicht. Aber gewisse Zahlen kann man einfach nicht übersehen...

...doch was gestern war, ist heute bereits wieder Vergangenheit...

Thursday, April 5, 2012

Sprung-Sitz

Das wertvollste Gut des Kapitäns ist seine Macht. Und das Schöne an der Macht ist die Willkür.

Was in der Familie und im Flugfunk (!) nur bedingt Gültigkeit hat, greift dafür bei vollen Fliegern und attraktiven – nein, nicht Flight Attendants! – Destinationen umso mehr. Dann nämlich, wenn Kollegen oder Kolleginnen einen Jumpseat benötigen, ansonsten ihre Reisepläne zu scheitern drohen. Dieses traumatisierende Gefühl der Hilflosigkeit kennen alle, die nicht gebucht bei voll gebuchtem Flugzeug unterwegs waren.
Standby-Tickets sind nichts anderes als Bestandteil des Salärs. Sie werden oft und gerne genutzt, erweisen sich jedoch seit aviatischen Urzeiten als Quell der Frustration, und so mancher spontane Kurztrip fand sein frühes Ende bereits vor dem Check-In Schalter oder am Abflug-Gate nach refusiertem Boarding.

In der Not frisst der Teufel Fliegen... oder der Airliner reist eben auf dem Jumpseat.
So unbequem wie unbefriedigend zwar, dafür in der Hoffnung, vor Ablauf der Ferien oder vor Wiederaufnahme der Erwerbsttätigkeit an die gewünschte Destination oder an den Heimatflughafen zu gelangen. Doch auch für den harten Klappsitz gibts keinen Garantieschein, denn die Anzahl ist limitiert; Je nach Umfang der arbeitenden Besatzung stehen Zivilreisenden insgesamt zwei bis vier Jumpseats zur Verfügung. Die einen in der Kabine, die anderen im Cockpit. Doch wenn der Flieger überläuft darf man davon ausgehen, dass auch andere auf den Klappschemel aspirieren. Neben Bangkok und HongKong ist New York äusserst begehrt. Ein Dauerbrenner. Zum extravaganten Einkaufsbummel an die Fifth Avenue. Warum eigentlich nicht? Wo doch alles so grauslig teuer ist in der Schweiz.

Wer einen Jumpseat wünscht, wendet sich in der Regel an den Kapitän. Timing ist alles und so erhalte ich regelmässig Anfragen für Flüge, die erst in drei Wochen stattfinden. In der Regel per Email, manchmal via SMS, selten landet eine geschriebene Karte (ja, das gibt es immer noch!) in meinem internen Postfach. Stets nett formuliert, mit einem Hauch von schlechtem Gewissen, manchmal mit dem generösen Angebot, bei Bedarf in der Bordküche mitzuhelfen. Ich antworte immer, verzichte vor dem Abflugtag jedoch auf konkrete Versprechungen. Man weiss ja nie. Manchmal, an Feiertagen oder bei besonders reizvollen Destinationen, werden Besatzungsmitglieder von Ehefrauen, -männern, anderen PartnerInnen, Erbtanten, Cousins oder Schlagersängern begleitet, was die Chance für Aussenstehende natürlich weiter schmälert. Denn BegleiterInnen der Crew geniessen immer Priorität bei der Vergabe der „Sprung-Sitze“. Schliesslich freut sich niemand, seiner gestrandeten Freundin beim Pushback durchs Cockpitfenster zuzuwinken...

Die Vergabe der Jumpseats liegt also in der Macht des Kapitäns, der willkürlich und, losgelöst von sämtlichen Zwängen der Seniorität, zuordnen kann. Er allein verfügt über diese Kompetenz. Nicht selten spricht er sich dabei mit dem Maître de Cabine ab. Denn es ist die Cabin Crew, die über lang gestreckte Beine beim Galley stolpert oder bei nächtlichen Diskussionen belauscht wird.
Manchmal fragen auch Kollegen für Kollegen von Kollegen. Das Geschäft mit den Jumpseats zieht weite Kreise. Doch es bleibt eines unserer letzten Privilegien, und es gilt diese sorgsam zu hüten. Als wär's das letzte Schäflein auf der Weide.
Nicht alle Airlines erweisen sich so tolerant wie die Swiss! Dies sei hier, der Vollständigkeit und der Fairness halber, ebenfalls erwähnt! Bei Etihad schaffte die britisch-australische Managertruppe innert weniger Jahre die Jumpseat-Pfründe ab. Einzig fürs fliegende Personal sind Klappsitze noch erlaubt. Und nur in der Economy-Class. Keine Gattinnen oder Kinder. Auch die begüterte Erbtante bleibt oder bliebe dann halt bei voller Maschine in Manila stehen. Oder in Kuala Lumpur. Oder vielleicht auch in Genf.

Ach ja. Dann war da noch jener pensionierte Kollege, der eine Jumpseat-Bewilligung für einen Flug erbat, den ich auch nach längerem Suchen nicht in meinem Einsatz fand. Ein Hellseher? Mitnichten. Mein Einsatz blieb unverändert und ich wies den Suchenden, höflich grüssend, weiter.
Nun überlege ich mir, für die intensiven Reisemonate des Sommers eine persönliche Assistentin zur Bewältigung aller Requests anzustellen. Temporär, rein vorübergehend. Ideal wäre jemand aus der Familie, weil stets in der Nähe und kostenneutral. Doch die Ehefrau winkt ebenso ab wie die Letztgeborene. Den Sohn wage ich schon gar nicht zu fragen. Ich verstehe sie nur zu gut.

Vielleicht eine Studentin. Oder ein Flight Attendant mit TZV.
Selbstverständlich hätte sie den nächsten Jumpseat-Wunsch auf sicher, Inshallah...